
Durchgabe des All_Einen an G. Gersbacher
Es war einmal eine Henne. Und weil sie die einzige überhaupt war und schon immer da war, wußte sie nicht, was eine Henne ist. Sie wußte auch nicht, daß sie nichts weiß, denn wenn man gar nichts weiß, weiß man auch nicht dieses. Man weiß auch nicht, was man nicht weiß, aber wissen könnte. Eigentlich gar nichts. Also verschlief die Henne die Ewigkeit.
1.Kapitel: Die Ewigkeit, die Henne und das Ei
Irgend etwas drückte sie irgendwann inwendig. Hm?? Wir, weil wir viel schlauer sind als eine Henne, sagen, es ist das SEIN. Es ist einfach da, sonst wäre ja auch keine Henne da, sie muß sein, auch wenn sie es selbst gar nicht weiß. Und dieses Sein in der Henne wurde etwas unruhig. Kriegt denn niemand mit, daß hier etwas ist, hä? Die Henne öffnete ein Auge ein wenig und sah – nichts. Aber sie wurde immer wacher, denn das Drücken hörte nicht auf. „Was ist da los?“ dachte sie. Und der Gedanke bewegte sie irgendwie.
Viel später sollte ein ganz schlauer Mann zu sich selbst gesagt haben: „Ich denke, also bin ich!“ Nur die Henne wußte noch nichts von einem „Ich“. Und auch viel, viel später weiß eigentlich immer noch keiner so genau, was das eigentlich ist. Weil aber die Henne nun richtig wach und fest entschlossen wurde, die Ursache für das Drücken herauszufinden, entwickelte sie eine große Energie, denn Entschlossenheit ist ein starker Motor. Und das Drücken wurde gleich noch stärker. „Da muß etwas sein!“ kombinierte die Henne ganz richtig, und – plumps! – da war das Ei.
Nun ging es ganz schnell in der Ewigkeit. Das Ei explodierte geradezu, daß die Schalen nur so in der Unendlichkeit herumflogen, und heraus kam ein Schrei: „Ich BIIIINNN DAAA !!“
Die Henne starrte erschrocken in einen aufgerissenen krähenden Schnabel und zog den Hals ein. Aber dieser seltsame Vogel kümmerte sich überhaupt nicht um die Henne, sondern tanzte schon herum, machte einen Riesenwirbel in der Ewigkeit und schrie immer lauter: „ICH BIN! ICH BIN DAAAA!!!“
Dabei versprühte er eine solche Energie, daß der Henne ganz schwindlig wurde nach der ewigen Ruhe. Aber diesem Charme konnte sie doch nicht widerstehen. Sie fand das alles eigentlich faszinierend. Hey, du! flötete sie vorsichtig in die Richtung des Schreihahns. Aber der hörte überhaupt nichts. Der war völlig besoffen von seinem Dasein. „Juhu! Ist das toll!“ Und er tanzte weiter herum. Die Henne hockte sich erstmal wieder hin und guckte zu.
Und der Vogel fing an, laut zu denken. „Aber was? Aber waaas bin ich? Ich muß doch irgendwas sein? Du meine Güte, du meine Güte! Was bin ich denn nur, was ist es denn, das so toll ist? Es ist einfach, ach ich weiß nicht, grooooßartig, nicht zu fassen!“ Und es überkam ihn wieder, er mußte herumtanzen und juhu schreien, aber mit seinem Denken kam er nicht weiter. Die Henne schüttelte ihre Federn, ja, da hat er schon recht. Man muß doch wissen, was man ist, wenn man schon ist. Da hat er recht.
Und da die Henne viel ruhiger war als der komische Vogel, fing sie mit dem Denken an. Sie schlußfolgerte, wenn dieser da aus mir herausgekommen ist, müssen wir doch dasselbe sein (zumal es doch gar nichts anderes gibt). Sie beobachtete also das Treiben und sagte sich: Das da bin ich. O ja! Und sie spürte plötzlich, was in dem anderen da vorging, sie spürte es! Das war das erste Mal, daß die Henne irgendetwas spürte nach dem seltsamen Drücken. Viel später gab es ein Wort dafür: Freude. FREUDE!
Das war ja noch viel mehr Energie als die Entschlossenheit, die sie schon mal hatte. Und sie erinnerte sich an ihre Entschlossenheit, und hatte dabei diese Freude, und dachte sich: „Da muß man doch was machen!
Und siehe da, nicht zu glauben, hielt der Vogel in seinem Herumschreien inne und dachte laut: „Ich muß was machen!“
Die Henne war natürlich völlig überrascht, aber ihre Freude stieg noch beträchtlich an und sie dachte: „Ja! JAAA!“
Aber was soll man denn machen?
Was würdest du denn machen, wenn du ganz allein wärst und nur deinem eigenen bunten Treiben zuschautest? Niemand da, mit dem du reden könntest, dem du deine Ideen erzählen könntest? Na, was würdest du tun, hm?
Die Henne jedenfalls griff zu dem, was schon einmal funktioniert hat. Ob da nicht noch ein Vogel herauskommen könnte, wo doch schon einer herkam? Äääh, soviel sie auch an das Drücken dachte, da kam nichts. Sie wollte doch aber weiterkommen. Wenn doch bloß dieses aufgeregte Huhn da drüben ein bißchen mithelfen würde. Sie betrachtete den anderen wieder genauer und spürte eine neue Regung. Er gefiel ihr schon sehr. Also, wenn sie so ist, wie dieses da, wirklich, das hat was. Sie mußte blinzeln, so bewegte sie das alles, was sie sah. Und seltsam, der Vogel wurde ganz ruhig mit einemmal. Er schaute in die Unendlichkeit, ganz lange, und plötzlich wurde der Blick so weich, so warm.
Die Henne hatte keine Ahnung, was da geschah. In ihrer Mitte wurde es immer wärmer, und sie wollte die Flügel ausstrecken nach dem, der so vor sich hinträumte, und ihm sagen: „Du, schau doch mal!“ Aber sie konnte ihn nicht erreichen. Und da wußte sie wieder, daß sie es doch selbst ist. Und wurde traurig. Ein neues Empfinden… traurig.
„Da bin ich nun, und ich weiß, daß ich tatsächlich bin“, dachte die Henne, „und als erstes weiß ich, daß allein nur ich bin. Also bin ich allein.“
Und sie stellte sich das so richtig vor, wie das ist, und vergaß darüber ganz den anderen Vogel, denn der konnte ihr ja auch nicht helfen. Der saß nun herum und träumte von irgendwas. Aber derweil passierte etwas Merkwürdiges. Wie die Henne immer tiefer in ihre Vorstellung versank, wie sie so allein in der Ewigkeit sitzt und doch so gern etwas machen würde, da sah sie in einiger Entfernung, aber nahe bei dem Vogel, etwas Neues heranwachsen. So groß und schön, daß ihr der Schnabel offenstand. Da flammte es leuchtend durch die Ewigkeit, wurde zu einem Ball aus Feuer, wurde immer größer und größer und heller, und stand schließlich da und füllte alles aus, soweit die Henne blicken konnte – „ICH.“
Wo war der Vogel geblieben? Och, der war wie eins mit dem Feuerball! Sie sind zu einem geworden, aber viel größer, als man sich das vorstellen kann. Och – dachte die Henne, bin ich das wirklich?
Sie konnte sich nicht sattsehen an dem Neuen. Und etwas noch Wundervolleres sah die Henne: Der Feuerball war nicht ganz so eines mit dem Vogel, wie es schien. Denn die beiden fingen an, miteinander zu reden! Sie waren ganz aufgeregt! Jeder konnte den anderen sehen und fand wunderschön, was er sah, niemals so etwas vorher gesehen!
Och, och, machte die Henne, und vergaß völlig, daß sie sich gerade noch allein gefühlt hatte. Ihr Alleinsein stand da drüben und sah wie in einem Spiegel einen anderen Feuerball, was einmal ein seltsamer tanzender und schreiender Vogel war. Später sagte man, der Vogel aus der Henne, das sei die wahre LIEBE geworden. Und man verstand, das Dritte, dieser Feuerball in der Unendlichkeit, das war das Allein-Sein.
Und so hatte die Henne mehr als genug zu schauen und zu fühlen, denn sie konnte ja alles fühlen, was da passierte, weil doch alles gleichzeitig auch sie selbst war.
Und es passierte dann ganz viel! Denn LIEBE und das Allein platzten vor Ideen.
Erste Versuche vor dem Spiegel
Die beiden hatten viel zu lachen, denn was sie sich auch vorstellten, das sahen sie sofort vor sich, weil der jeweils Andere genau so aussah, wie die Vorstellung. Das war ein Spaß! Und weil sie alles beschreiben konnten, was sie sahen, wußten sie nun, wie sie selber aussahen, während sie ihre Ideen ausprobierten. Beide veränderten sich gleichzeitig und wurden immer genau so, wie der andere wollte.
Weil sie ja immer dasselbe dachten, wurde das aber mit der Zeit doch etwas langweiliger. Nicht, daß ihnen die Ideen ausgegangen wären, aber so schnell, wie sie an etwas anderes dachten, war ja die Idee von eben wieder weg. Warum geht denn alles immer so schnell?, fragten sie sich. Weil wir genau dasselbe sind. Wir denken immer dasselbe, haben immer dieselben Ideen zur gleichen Zeit, wir sind ja doch nur EINS. Und dann sah das Allein, daß es in einen Spiegel schaute und fühlte sich plötzlich etwas zerrissen. Einerseits war es völlig verliebt in das, was es sah – das bin ich! Andererseits verschwand das Bild ja immer wieder, neue Bilder kamen, und es war immer nur wieder „ich“, das sich alles ausdachte.
Da muß mehr sein, dachte „ich“. Und es dachte sich mehr von sich selbst aus, andere Gestalten, die selbst anfingen zu denken und Ideen zu bekommen. Es gab sich große Mühe und konzentrierte sich fest darauf, daß diese Gestalten nun selbst etwas machen sollten! Das war gar nicht so schlecht. Das machte viel mehr Spaß. Mehr davon! Und es wurden immer mehr Phantasie-Ichs, die sich was einfallen ließen.
Das Allein sah in sich hinein, in seinen Spiegel, und sagte zu sich: „Wir können das ewig so weiter machen.“ Und weil es so unendlich groß war, sah es auch alles, was da möglich sein könnte schon voraus, denn alles war ja in ihm selbst drin als Ideen. Und wie es nun ALLES voraussah, beschleunigte sich alles so sehr, daß das Ende auch schon da war. Das probierte es nun noch einmal von vorne, aber das Ende war wieder zu schnell da, und es war wieder allein. „Das passiert immer“, sagte sich das Allein, „wenn ich mich erinnere, daß ich alles selbst bin. Es geht nur so lange gut, wie ich mich ganz doll darauf konzentriere, daß meine Ideen auch allein sind, jede Gestalt für sich selbst.“
Nun hatte das Allein inzwischen ja sehr viel gesehen, und die Henne hatte dies alles mitgefühlt und war restlos begeistert! Das fühlte sich doch ganz echt an! Jedenfalls die Gefühle waren ganz echt, wenn auch die Gestalten immer wieder verschwanden. Irgendwie hatte man das doch richtig erlebt. Aber etwas war noch nicht perfekt. Alle Gestalten taten letztlich immer nur, was das Allein sich ausdachte; wenn sie auch sehr selbständig herumsprangen, war doch alles so vorhersehbar, was sie tun würden.
„Gibt es denn außer mir wirklich gar nichts?“, fragte sich wieder einmal das Allein und besah sich im inneren Spiegel. Was bin ich denn nun? Und das innere Bild strahlte zurück, noch viel feuriger als am Anfang. „Habe ich mich denn verändert?“, staunte das Allein. Da sind ja ganz neue Empfindungen in mir; ich denke an die vielen Gestalten, die ich mir erschaffen habe und herumgesprungen sind und etwas gemacht und gedacht haben. Es fühlt sich an, als seien die immer noch in mir, wenn ich an sie denke, und ich glaube, sie fehlen mir.
So begann etwas, das wir heute Liebe nennen würden, denn das Allein mußte immerzu daran denken, wie es solche Freude hatte mit den Gestalten. Und wie es sich nun auf seine Empfindungen konzentrierte, und da waren ja schon zwei, Liebe und Freude, strahlte der innere Spiegel immer heller und feuriger und rief: „Ja! Ja, das bin ich, so bin ich, so muß ich sein, denn das ist großartig, bitte, gib mehr davon!!“
Wie kann ich mehr davon geben?, dachte das Allein. Ja, es ist wunderbar und fühlt sich so schön an. Komm, laß dir was einfallen, flüsterte die Henne. Aber das Allein hörte es nicht. Die Henne seufzte auf, denn irgendwie drückte es wieder. Da muß doch eine Idee sein, wie ich mehr bekommen könnte.
Das Allein konzentrierte sich: Was will ich denn? Ich will nicht mehr das Einzige sein, das immer in einen inneren Spiegel schaut. Ich will noch eins haben, ein echtes Anderes. Eines mit eigenen Ideen. Etwas, das ich nicht so vollständig kenne wie mich selbst. Etwas, das neue Gestalten ausdenkt, die tun, was ich nicht vorhersehen kann, und verhindert, daß alles wieder zusammenfällt. Das wäre doch die Super-Idee! Aber wie fange ich das an?
Der Freiheitsplan des Einen
Es besah sich noch einmal alles, was es bis jetzt geschafft hat. Ich habe schon viele Empfindungen bekommen, faßte es zusammen, ganz viele. Das alles gibt es schon, das ist schon da, in mir. Das ist nicht weggegangen! Ich nenne diese vielen Empfindungen jetzt „Seele“. Ich sage einfach, ich habe eine Seele, denn wenn ich etwas habe, bin ich es nicht selbst. Es gehört mir, aber ich bin es nicht. Oder? Vielleicht stimmt das aber auch nicht. Bin ich nun oder habe ich? Na, ist ja jetzt egal, ich versuch’s einfach mal.
Es sah in den inneren Spiegel, sah den überwältigend schönen Feuerball, geriet wieder in helle Begeisterung und sagte: Ich will aber, daß dies eine eigene Seele ist, ich will, daß diese Schönheit bleibt, egal, was ich denke und mir sonst noch einfallen lasse! Und es wußte mit einemmal, daß dies die Wahrheit ist. Es wußte, diese Schönheit würde ewig bleiben, denn sie war vorher nicht da, und nun war sie da durch die vielen Empfindungen. „Meine Seele!“ rief das Allein glücklich. Glück! Das war neu. Die Henne schloß die Augen. Glück. Ich bin. Und die Seele wußte es auch, was Glück ist und schaute auf das Allein. Beide dachten dasselbe: „DU!“
Jetzt war alles einfach. Allein und seine Seele konzentrierten sich wieder und dachten weit voraus in Empfindungen, die noch nie da waren. FREIHEIT. Sie selbst wußten nun, was das ist. Sie konnten alles erdenken, was sie wollten. „Könnten wir beide uns denn sogar trennen? Könntest DU allein existieren?“ —– Nein. Ich wäre nicht ich selbst ohne Seele, dachte das Allein. Nein, dachte die Seele, ich bin ja geworden durch deine Empfindungen, das ist nicht zu trennen. Nein, dachte die Henne, alles, was ich da beobachte, geschieht in mir selbst.
Also werden wir die Grenzen unserer selbst erweitern, dachte „Ich“. Alle Möglichkeiten, die wir bisher nur ersonnen haben, geben wir ab: Wir stellen eine Gestalt heraus, die das übernimmt, so wie „Seele“ meine Empfindungen in sich versammelt hat, werden alle Möglichkeiten in eine neue Gestalt versammelt. Und zwar alle Möglichkeiten. „Selbst die, an die wir vielleicht gar nicht denken?“, fragte Seele. Sogar die! Allein war sich ganz sicher. Wir sind nun, wie wir sind, und nichts, das aus uns kommt, könnte ganz anders sein als wir, denn etwas anderes gibt es ja nicht. Na gut, das klingt logisch, meinte die Seele. Und: Du mußt es ja wissen.
Nachdem das beschlossen war, wollte das Allein aber noch einmal ganz genau planen. Eine neue Erfahrung – planen! Es merkte schon, daß die meisten Empfindungen wirklich in der Seele versammelt waren und fand das sehr faszinierend. Ich bin so ruhig, freute es sich, so klar. Sehr interessant! Was brauchen wir also für ein so gewaltiges Unterfangen? Wir müssen etwas in der Unendlichkeit errichten, das begrenzt ist, denn eine neue Gestalt soll nicht mit unserer Unendlichkeit konfrontiert werden, dann wird es darauf hinausgehen wie immer, daß wir es selbst sind. Nein, wir müssen es ganz neu anfangen, indem wir zuerst einen Raum schaffen, Grenzen eben. Auch die neue Gestalt muß begrenzt sein, damit sie anders ist als wir.
Um einen Raum zu errichten, erfinden wir Grenzpunkte. Da wird nicht alles absolut frei sein, sondern bekommt eine Struktur, eine Matrix. Gespannt beobachtete die Henne ein ganz neues Allein, das im Arbeitsrausch versunken über seiner „Struktur“ brütete. Als es fertig war, rief es die Seele: „Ich brauche dich!“ – „Ach wirklich? Ich dachte schon, du machst jetzt alles allein“, grinste sie. Aber Allein schaute so ernst, daß Seele gleich verstand, worum es ging. „Das ist ein gewaltiger Plan, meine Liebe.“ Meine Liebe? Der Plan hatte einen Namen. LIEBE.
Sie waren sich einig. Ihr Ernst, das erste Gefühl, das sich neu zeigte angesichts des riesigen Unterfangens, nahm Gestalt an. Der Ernst bildete sich, weil er alles zu sehen bekam, was sich ereignen würde, die Freiheit, den Raum, den Wunsch des Einen, nicht mehr das Einzige zu sein, und die LIEBE. Die Henne hielt den Atem an. So sah ein völlig neuer Beginn aus. Die Gestalt des Ernstes wurde durch den Willen des Einen herausgestellt und sollte selbst eine Entscheidung treffen. Das erste freie Wesen, jedenfalls so frei, daß es hätte sagen dürfen – nein.
Die Seele des Einen zeigte ihm, wohin es führen könnte, in welche nie gekannten Empfindungen der neuen Wesen. Und der Ernst war das erste Wesen, welches das Eine verstand. Es sah den Feuerball, es sah die Ein-samkeit. Die Seele zeigte sich selbst dem Ernst. Schau mich an. So bin ich. Der Ernst verstand alles. Er verstand, daß er herausgetreten war aus dem Einen, daß er nur einen Schritt selbst tun müsse, und dann wäre er frei. Oder aber sofort zurückfliegen in das Eine, ihm dieses Verstehen zurückbringen und seiner Seele hinzufügen.
Der Ernst wußte, wovon das Eine träumt. Er trat heraus. Er sah die Schönheit an, schloß dann die Augen und bewahrte sie in seiner Erinnerung. Das war der Grundstein und Beginn einer ersten, eigenen, freien Seele. Sie bekam den Namen „Muriel“.
Von diesem Moment an, da es gelungen war, eine – die erste – Gestalt in die Freiheit zu entlassen, wurde alles anders. Allein empfand sich als „jemand“ und fand, einen Namen zu haben, gehöre dazu. Es behielt die Bezeichnung bei, nannte sich aber „das All-Eine“, weil es ihm nach wie vor passend schien, aber nicht einen so einsamen Klang hat wie nur „Allein“. Gut. Es schaute seine Seele an. Und du? Seele hatte sich verändert.
Seele schaute durch das All-Eine hindurch, auf Muriel. „Mein Muriel!“ Der hielt die Augen geschlossen wie seit dem Moment, als er die Schönheit der Seele gesehen hatte. Aber seine Gestalt strahlte auf unter dem Blick der Seele. „Ewig DEIN, meine Liebe!“, so entflammte es immer mehr in ihm. Und so bekam Seele ihren Namen: „Ewige LIEBE.“
Muriels Liebe floß in die Seele des All-Einen von dem ersten Blick an, und dieses Lieben wurde zu seiner eigenen Seele. Warum öffnete er seitdem nicht wieder die Augen, um die Ewige Liebe anzuschauen? Weil er die ganze Geschichte, die nun begonnen hatte, und alles, was kommen würde oder kommen könnte, mit den Augen des All-Einen gesehen hatte. Auch seine eigene Rolle. Er hätte nicht gehen können, um sein Versprechen zu erfüllen, mit dem Glanz der Ewigen Liebe vor Augen. Nie hätte er sich getrennt von diesem Anblick, dessen Erinnerung seine ganze Seele von nun an erfüllen sollte!
Die sieben Säulen der Schöpfung
Dabei sollte es nicht bleiben. Der Wille, das gemeinsame Werk fortzusetzen, nahm Gestalt an – mit wild wehenden Haaren, ganz in rotgoldenes Feuer gehüllt, erschien Michael, fegte an Muriel vorbei, baute sich vor dem All-Einen auf und rief so laut, daß die Henne einen Schluckauf bekam: „Da bin ich!“ Und natürlich blieb er, da brauchte niemand zu fragen. Das All-Eine war begeistert – so sieht mein Wille aus! Das dürfte für eine weitere Ewigkeit ausreichen. Muriel räusperte sich. Er dachte weiter. Bei aller Begeisterung durfte man keinesfalls die Struktur vernachlässigen, innerhalb derer der Wille sich ausleben darf. (Er mochte wirklich nicht daran denken, was passieren könnte, wenn dieser Michael ungebremst eigene Ideen produzieren würde!)
Ja, selbstverständlich. Das All-Eine erinnerte sich seiner langen Planung und fand eine große, wohl durchdachte Ordnung in jedem Detail. Das Größte mit dem Kleinsten zu verbinden, das würde einmal eine Leistung sein. Denn bisher gab es weder groß noch klein, aber das würde sich ändern. Meine Ordnung wird eine gerechte sein, und das gerechte in allem ist die Liebe meiner Seele, so beschloß das All-Eine. Es erschien Uraniel.
Die Ordnung war so von Liebe glühend und hoch erfreut über alles, was hier zu sehen war, dankte von Herzen über das Geschenk des Daseins, daß Ewi und All-Eines gleich denselben Entschluß faßten: Wir müssen von dieser vielen Liebe etwas abnehmen, sonst vergißt Uraniel vor lauter Begeisterung noch seine wichtige Aufgabe. Denn die Ordnung in einer schier unübersehbaren Schöpfungsgeschichte zu halten, und somit dem freien Willen der künftigen Wesen eine Struktur zu geben, das fordert eine mächtige Kraft! Muriel stellte sich an die Seite Uraniels. Diese beiden würden nun immer zusammenwirken.
So war es weise, für die überfließende Liebe eine Gestalt zu bilden, die keine andere Aufgabe bekam, als der Träger der Liebe für immer zu sein. Raphael und Im-Glück-Sein, das war eins. Die Henne wollte gleich zu ihm hin und ihn unter die Flügel nehmen. Och och! So etwas Liebes und Schönes! Aber wie immer hörte keiner hin. Diesmal fand sie es aber in Ordnung, ja es war in Ordnung! Endlich wußte die Henne mehr davon, wie es ist, ein Ich zu sein, Empfindungen zu haben, etwas zu sehen und zu erleben. Nur weiter, weiter! dachte sie, und war sehr gespannt.
Es hatte sich herausgestellt, daß Ewige LIEBE und das All-Eine nicht nur gut planen konnten, sondern etwas Besonderes gefunden haben, nämlich in jedem neuen Moment (und jeder Moment war jetzt neu!) ein Gespür für das Ganze insgesamt zu behalten. Sie nannten es weise. Wie sie das vorhin gleich geregelt hatten mit Raphael, das war sehr gut, weil nicht im Detail vorhersehbar. Weisheit, ein schöner Name, eine ganz klare, lichte Gestalt, überaus freundlich und sehr mächtig. Was sie im einzelnen tun sollte, war noch nicht ersichtlich, aber in den Nebeln einer fernen Zukunft konnte man eine große Aufgabe erahnen. Zuriel, der Solitär unter den Wesen der Schöpfung.
Sein erster kluger Hinweis an die Ewige Liebe war, nachdem er den Plan gesehen und sein Ja gegeben hatte: „Da wirst du viel Geduld brauchen!“
Geduld? Zeit? Das würde man wirklich bedenken müssen. Nun gab es ja Zeit. Endlich würde nicht mehr alles in einem Nu zusammenfallen und als Erinnerung in der Seele verschwinden! Es würde bleiben, es gibt ein Jetzt und ein Später, ein Vorher und ein Nachher. Und das würde ja bedeuten, daß eine Trennung möglich ist! Nämlich die Trennung aus der ewigen Ewigkeit, hinein in einen anderen Raum, in dem etwas Eigenes, etwas Anderes geschieht. Freiheit. Überraschungen! Sie alle wußten, es ist soweit, wir schaffen es! Alaniel-Geduld würde den großen Bogen spannen vom ewigen Jetzt ins Chaos der Zeiten. Er würde mit einer Hand die Ewigkeit halten, das Wissen vom ersten Moment, und mit seinem Sein den Körper der Zeit bilden, während schon die andere Hand eine „neue Ewigkeit“ bereit hält.
Die Henne fiel fast um, so gefiel ihr der Gedanke, und sie breitete ihre Flügel aus, daß sie wie Alaniels Arme die Ewigkeit umfingen, die einzige, die sie bisher kannte. Würde es wirklich einmal eine andere geben? Sie mußte lachen. Alles ist möglich.
So, und was ist jetzt mit dir? Geschichten, Romane, das kommt gut, ja? Na, ist schon recht. Wenn du nun denkst, „und, wann kam ich dazu?“, dann sind wir schon im Gespräch. Hast du dich also nicht ausgeklinkt. Aber bis zum Menschsein war ja noch ein sehr langer Weg. Zunächst mal mußten die Pfosten für die Grenze aufgestellt werden, damit in der Unendlichkeit niemand verloren gehen kann. Fehlte da noch was?
Der fehlende Grenzstein
Es standen alle erwartungsvoll zusammen und dachten, nun können wir eigentlich anfangen. Aber der rechte Schwung kam nicht auf. Ob die sechs Säulen den neuen Raum vielleicht doch nicht sichern könnten? Haben wir irgend etwas übersehen? Die Henne sah alle anderen noch einmal genau an. Sie fühlte sich tief ein in jeden einzelnen und verweilte dann vor Ewi. „Du hast mir alles gegeben, Liebe. Ein Ich. Gefühl. Ein Du. Ich weiß, was euch zögern macht. Und du weißt es auch. Vielleicht ist es besser, es hier gut sein zu lassen. Wir haben mehr, als wir je geträumt hatten! Und nun hast du freie Gestalten um dich, die dich schauen können; deine Liebe wächst ständig, dein Strahlen erfüllt meine Unendlichkeit. Ich wünsche mir nicht mehr.“
Ewige Liebe fühlte diese Stimme in sich, zum ersten Mal. ‚Da ist etwas, das mich anschaut, solange ich existiere’, diese Erkenntnis überkam ihn. Er hatte sich darüber nie Gedanken gemacht, warum er ist. Nun flutete ein Gefühl in ihn hinein, das er nicht kannte. Es war, als ob in seinem Kern etwas aufgegangen ist, eine Erfüllung, dieses Auf-ihn-Schauen, eine Bejahung, Dankbarkeit, die ihn ergriff, weil sie nicht aus ihm selbst kam. Es gibt noch ein Selbst, das ich auch bin, und doch nicht identisch mit mir! Und er ging tiefer hinein und fühlte ein fernes Echo, den Hauch einer Frage: „Was, Liebe, bin ICH?“ Auch das All-Eine war ganz still geworden und schaute ihn verwundert an. „Was ist das?“
Die anderen merkten, daß etwas vor sich ging. Sie kamen zusammen und lauschten.
Ewige LIEBE sprach nach einer Weile. „Meine geliebten Freunde. Wir haben nie gefragt, woher unser Sein eigentlich kommt, wie es sein kann, daß wir existieren. Und daß wir Ideen haben, Gefühle und Gedanken. Woher kommt es, daß sich alles zeigt, was wir wollen? Es ist noch etwas da, und es ist zu spüren, aber nichts ist zu sehen. Wir existieren aus einer Kraft, die keinen Namen hat, die niemand kennt, als sie selbst. Und diese Kraft haben wir geweckt durch unser Fühlen und Denken. Ohne uns wäre da nichts, wohin die Kraft gehen könnte, nicht wahr?“
Ja, das war zu verstehen. Ohne diese Kraft würde auch der Plan ein weiterer Traum sein. „Und wer weiß, ob wir nicht alle wieder zurückfließen in einen Ur-Zustand, den wir nicht einmal kennen?“, das fand Michael nicht lustig. Muriel sah ihn an. „Was ich sehen konnte von der kommenden Geschichte, das war nicht nur ein Traum. Aber es fehlt noch eine Säule. Schaut doch noch einmal hin.“ Und es erschloß sich ihnen ein Szenario, wie sie es vorher noch nicht so deutlich erkennen konnten. Freie Wesen würden alles dransetzen, die Grenzen des Raumes zu überwinden. Sie würden an Kraft gewinnen, sie würden es empörend finden, erschaffen worden zu sein von übermächtigen Wesen. Sie würden jede Abhängigkeit abschütteln wollen, was aber nicht geht, denn diese Kraft, aus der alles kommt, läßt sich ja nicht abschütteln. Danach käme nur das Nichts.
„Warum sollten sie denn nicht im Glück und in der Freude bleiben wollen, Ewige Liebe?“ Raphael verstand das Problem überhaupt nicht. So etwas konnte er sich wirklich nicht vorstellen! Und sie wußten nicht, wie sie es ihm erklären sollten, denn so richtig verstanden sie es auch nicht. Es war nur zu sehen, daß es so kommen würde, und das verunsicherte jeden. Nur Ewige LIEBE lauschte auf die neue Stimme in ihm, die plötzlich ganz verständlich und vertraut ein Teil von ihm selbst war. Sicherheit! Er würde niemals ins Nichts zurückfließen! Er wußte nun, woher er kam. Er war die Antwort an die Kraft: Ja, du bist! Er war das ICH dieser Kraft. Er war unzerstörbar. „Du bist LIEBE!“ erklang es in ihm. „Ja“, antwortete er, und „JA!“ klang es zurück. Jetzt, wo es ihm bewußt war, überwältigte ihn die Unendlichkeit dieser Kraft; so groß wie vorher das Nichts, war jetzt dieses Ja zu ihm.
Und nun sah er den fehlenden Grenzstein. Er sah größere Räume, er verrückte die sechs Säulen weiter hinein in die Unendlichkeit, er schaffte Weltenräume für eine Schöpfung, die ihre Grenze nie würde erkennen können, so groß. Er rief die FREIHEIT in alle Räume und in die Unendlichkeit hinaus. „Ihr werdet frei sein, wirklich frei!“ Und er wußte, daß er selbst in alles hineingehen, in jedem Raum selbst anwesend sein würde. Er selbst wollte die einzige Grenze sein, er wollte alles in Sicherheit wissen in der Freiheit, denn nichts außer ihm hatte die Macht dazu.
Ewige LIEBE verschloß tief in seiner Seele, was er allen zukünftigen Wesen in dem Moment versprach. Niemand sollte es wissen, denn auch das gehört zur Freiheit. Er gab sich dem Plan vollständig hin mit seinem ganzen Sein – für die Stimme in ihm, die er zum ersten Mal hören konnte.
Die Henne sah ihn nur an. „Ewige Liebe. Mein Sein und mein Leben – das wir jetzt beginnen!“ Und ihr Ja zu ihm war in der Ewigkeit verankert.
Aus diesem Moment der innigsten Einheit im JA zueinander wuchs eine neue Gestalt: Die Barmherzigkeit. Die Welten würden sie später nennen: MARIA.
Aber Muriel saß noch in sich versunken und wußte, er würde einst dieser LIEBE auf jedem ihrer Schritte folgen – immer und überall.
2. Kapitel: Der erste Bau
„Wir wollen zuerst den Raum errichten und dann selbst hineingehen“, sagte einer. „Ja, wir werden uns Gestalt geben, damit wir uns in dem Raum bewegen können.“
Es ging also darum, etwas Begrenztes innerhalb des Unbegrenzten zu ermöglichen. Und so taten alle das, was sie schon konnten, sie stellten sich vor, daß sie begrenzt seien und eine Gestalt hätten. Alle, bis auf das All-Eine. „Freunde“, sagte es, „was ihr nun vorhabt, das werdet ihr ohne mich tun. Ich bleibe im Ur-Zustand hier in unserer Unendlichkeit. Denn ihr werdet irgendwann vergessen haben, woher ihr stammt. Dann ist der Moment gekommen, daß ich euch an alles erinnern werde. Ewige LIEBE und ich, wir haben eine Stimme in uns, die kommt aus der Kraft, die euch begeistert das JA gibt zu allem, was ihr nun beschließt und tut. Ewige LIEBE bleibt ganz bei euch – und auch bei mir in der Erinnerung. Ihr aber, ihr baut jetzt den Dom der FREIHEIT für viele Wesen. Das Abenteuer beginnt!“
Nun errichteten sie Grenzen, installierten die erste Struktur und erdachten sich ihre Gestalt. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen! Sie waren noch mitten dabei, ihren ersten Erfolg zu feiern, als –
„Dürfen wir wohl dazukommen?“
Eine Stimme? Wie ist das denn möglich? Aber vor ihnen verdichteten sich, sehr undeutlich erst, einige Gestalten, die entfernt sogar mit ihnen Ähnlichkeit hatten. Keiner wußte, was davon zu halten sei. Allein die Henne in ihrer Ewigkeit gluckste laut vor Freude! Schon wieder passiert etwas, ist das nicht wunderbar?!
Die Unbekannten fühlten natürlich das allgemeine Erstaunen und versuchten sich zu erklären. „Als eure Gedanken“, einer wandte sich ‚Ewi’ zu und meinte ihn und das All-Eine, „als eure Ideen geträumte Welten erschufen, da wurden doch viele Empfindungen gesammelt, von Figuren in eurer inneren Welt dargestellt. Sie haben sich einerseits wieder in euch aufgelöst, so habt ihr es gesehen. Aber die Erlebnisse blieben erhalten. Jetzt habt ihr einen bleibenden Raum erschaffen und seid in ihn hineingetreten. Dadurch finden auch wir, als eure bereits gelebten Empfindungen, einen Ort. Wir sind da. Wir erinnern uns. Wir haben Empfindungen. Und wir sind sehr vertraut mit euch.“ Die Gestalt meinte wieder Ewi und das All-Eine.
„So ist das. Ja, dann hätten wir doch schon einen Anfang gemacht. Wir müssen uns nichts Neues ausdenken, wenn ihr schon da seid.“ Nun konnte der Plan schon verwirklicht werden. Die Neuen verbanden sich leicht mit den Qualitäten der anderen, sie ließen den eigenen Willen zu, sie akzeptierten die Gedanken der Ordnung, begeisterten sich an ihrer eigenen Freiheit, die sie eine LIEBE wählen ließ. Und sie spürten eine eigene Freude, ganz persönlich. Sie bekamen ein ICH, jeder einzelne für sich. Eigentlich wunderte sich schon niemand mehr, daß da aus der Unendlichkeit immer mehr neue Gestalten auftauchten! Sie alle holten sich ihre Freiheit und ihre Liebe und zogen dann weiter, um ihre eigenen Ideen in Formen umzusetzen. Wer dieselben Ideen hatte, schloß sich zusammen. Allein blieb keiner.
Die Ur-Erzis freuten sich sehr, und die Henne erst! Alle waren sehr stolz, daß es so harmonisch und geschwind voranging. Nun würde man sehr bald die Antworten erhalten, wie sich ganz freie Wesen im Sinne der Ewigen LIEBE verwirklichen und Welten erschaffen.
Freie Seelen in der Ewigen LIEBE
Nach einer langen Weile wurde es ruhig um die neuen Welten. Alles hatte sich wunderschön eingerichtet. Die Wesen waren sehr zufrieden mit ihrem Sein. Die verschiedenen Gruppen hatten sich eigene Räume eingerichtet, jede ihre eigene Welt, und sie durften auch mit ihrer Vorstellungskraft neue Gestalten in Form bringen. Das taten sie mit viel Umsicht immer dann, wenn neue Vorstellungen in ihnen zum Ausdruck kommen wollten. Eine wirklich neue Idee forderte immer neuen Raum, um in Form gehen zu können, und das führte dann bald zu einem Nachwuchs an neuen Wesen. So ging alles in großem Frieden seinen Gang.
Auch in der Familie wurde es ruhig. Man besah sich das ganze mit großer Zufriedenheit. Die Henne fand alles sehr gut. Doch, richtig gut.
Die Wesen dort waren wunderschön anzuschauen, sie hatten große Ähnlichkeit mit den sechs Ersten. Nur MARIA bekam keine klare Form, sie war kaum zu sehen, man spürte sie, sie war da. Michael war manchmal ein wenig nervig und kommentierte gern die neuen Ideen dort in den Welten, was Raphael dann verwirrte. „Michael“, fing er vorsichtig an, „manchmal denke ich, du liebst sie vielleicht nicht wirklich. Schau, sie sind so innig mit uns verbunden, immer denken sie an uns und sind dankbar für ihr Dasein. Freust du dich denn nicht mit ihnen?“
Und wie ich mich freue, liebster Bruder, dachte Michael, was natürlich jeder andere auch ‚hören’ konnte. Sie sind wunderschön anzuschauen. Ich werde mal ne Runde drehen. Und weg war er.
Die Henne seufzte ein wenig in sich hinein. Ja, ja, wunderschön, und so vorhersehbar. Ewig könnte das so weitergehen. Und es war ja auch immer was los. So einigermaßen. Also etwas war schon immer los, doch, doch. Es geschah ja was. Seufz. Allein von Zusehen wurde man so ganz friedlich im Inneren, so ganz ruhig. Immer wieder stiegen von den Welten Dankeslieder zu den Ohren der Familie, da war man sehr erfinderisch. Sie freuten sich alle ihres Daseins.
Wieder einmal kam Michael zurück und baute sich auf. Die Henne reckte den Hals vor – ah! Das war doch ein Anblick! Mein Wille! – „Also, Freunde!“, fing er an. Raphael schaute schon nach MARIA und nach einem ruhigen Fleckchen. Muriel schaute auf Ewi. Alaniel war überhaupt nicht zu sehen, er ging oft auf eine angenehme Welt und genoß den Fluß von Zeit im Raum. Zuriel stand meist wie ein Denkmal, schaute lächelnd in die Weite und verströmte Kraft und Zuversicht. Nun zog er leicht irritiert die Augenbraue hoch. Michael, was ist denn wieder – sollte das heißen.
„Freunde, da muß etwas weitergehen, an dem fehlt doch was.“ – „Ach, so fing es immer an: da fehlt doch was!“ Raphael fand das überhaupt nicht. Wie konnte jemandem denn etwas fehlen, es waren alle da, man war beieinander und alles war so schön. Aber Ewi flammte schon ein wenig auf. „Ja, genau! So fing es immer an. Und dann erfolgte die Geburt einer ganz neuen Idee. War das nicht immer wunderbar aufregend? Ist es nicht das, was uns fehlt?“
„Aber, Ewige Liebe, ich bitte dich! Sie haben doch Ideen jede Menge!“, warf Raphael ein. „Sie sind so kreativ, so kunstvoll und geschickt. Sie freuen sich immer, wenn ich erscheine und haben auch immer etwas Neues zu zeigen. Ich weiß nicht, was das jetzt soll.“
Aber der Stein rollte bereits. Die Henne saß aufrecht mit leuchtenden Augen. Ja, ja! Es geschieht etwas, sie rühren sich wieder. Und Michael durfte sich endlich aussprechen. „Ich vermisse einen zielgerichteten Willen!“ donnerte er fröhlich los. „Und von dem, was wir in deiner Seele“, er blitzte Ewi an, „gesammelt vor uns sehen, ist da auch nicht viel zu spüren. Es fehlt an Feuer, Freunde, FEUER! Ihre Ideen sind nicht wirklich kreativ, sondern vorhersehbar wie alles, was sie tun. Sie riskieren nichts, sie drehen ihre eigenen Kreise um sich selbst.“
„Aber sie lieben uns doch, Michael, das ist ihr Wille, sie lieben und sind froh!“ Raphael sah schon sein Glück gefährdet. Wie konnte man nur an diesen wunderschönen Welten irgend etwas auszusetzen haben? Die anderen hatten alle Hände voll zu tun, Raphael wieder zu beruhigen. So ist das doch nicht gemeint! Schließlich nahm ihn MARIA in den Arm, und die anderen machten weiter.
„Ich will näher bei ihnen sein, das ist das Feuer, was ihnen fehlt, und das ist es, was mir fehlt.“ (Ewis kleiner Seitenblick auf seinen LIEBE-Träger.) „Versteht ihr, ich möchte wirklich mit ihnen sein. Ich bin Seele, sie bauen sich auch eine Seele, jeder einzelne, und da will ich das Feuer meiner selbst hineingeben. Ich will mich selbst in ihre Seelen geben. Jawohl! Das ist es!“ Ewi war nicht zu halten. Diese neuen Seelen mit seiner eigenen zu vereinen, das wäre Erfüllung, wäre neue LIEBE im Ich und Du – „Ach, ihr! Meine Kinder!“ Und am liebsten hätte er sich schon aufgelöst und sich ganz mit ihnen vereint.
Ja, ja!, hauchte die Henne in die Ewigkeit. Vereinen, sich auflösen. Ooooch! Das All-Eine wurde hellwach. „Hey, Moment mal! Werdet ihr wohl vernünftig sein! Dann ist doch alles wieder vorbei! Seid ihr noch gescheit? Wie kann man sich so vergessen?“
Ewi wollte doch aber so gerne seine Seele mit denen vereinen! Seine LIEBE flammte so stark wie nie, daß den anderen ganz schwindlig wurde. Das All-Eine konzentrierte sich. Bei dieser Kraft, die aus der Unendlichkeit heranrauscht, kann man ja keinen klaren Gedanken fassen! Und diese Welle floß mal wieder zu Ewi hin und half überhaupt nicht, ihn zur Vernunft zu bringen. Das All-Eine mußte viel Energie aufbringen, etwas Unüberlegtes zu verhindern, das sie nachher bereuen würden. „Du wolltest doch, daß sie bleiben, Seele!“ rief sie. „Du kannst dich nicht vollständig vereinen, dann sind sie alle weg!“ Das wollte natürlich auch die Henne auf gar keinen Fall – bloß das nicht! Und sie beherrschte sich sehr und schaute nur noch, was da entschieden würde.
Dann wurde auch Ewi ruhiger, und alle konnten mal wieder durchatmen. Der konnte einen ja glatt wegfegen mit seiner Liebe, du meine Güte. Das All-Eine holte seine Planung wieder hervor, denn nun war es an der Zeit, die Geschichte zu entrollen und ihr eine entscheidende Richtungsänderung zu geben. Ja, es war an der Zeit. Und es sprach zu seiner Seele, während die anderen alles mithörten.
„Wir, die wir gemeinsam dies begonnen haben, sind eine feste Familie, wir sind ein Geist. Und gleichzeitig hat jedes von uns auch eine eigene Seele gebildet, nämlich von dem Moment an, wo es denken konnte. Und so führt jedes Teil der Familie ein Eigenleben und bereichert dadurch unser Ganzes, unser Einssein im Geiste. Wir werden niemals zu trennen sein. Das ist ein großartiges Dasein, denn auch ich bin nicht mehr allein, obwohl ich alles bin, was ist.“ Ja, alle konnten das fühlen, die Seele Ewis, ihr eigenes Ich, das sie liebten, und die Anderen in ihrer ganz eigenen Art – und wurden wieder EINE Seele. Durch die Worte des All-Einen konnten sie sich ganz in ihre Einheit hineinfühlen, in den Ursprung ihres Daseins, und sie sahen auch wieder die ganze Geschichte, alles was geschehen würde oder geschehen könnte.
Und sie sahen in die Welten dieser so speziell entwickelten Wesen, jedes einzelne mit einer eigenen Seele, und jedes aus ihrem Geist geboren. Ja, für diese Wesen wollten sie ganz da sein, damit sie sich weiter entwickeln könnten, hinein in noch mehr Freiheit, noch mehr Erprobung des Willens!
Ewi sah jedes einzelne dort in der Ferne an und spürte in sich ihre Seelenregungen. Ganz nah ging er heran und schloß die Augen, um nur noch zu spüren. Er verband sich mit der Kraft, die ihm aus der Unendlichkeit zufloß, er wurde ganz eins mit dem All-Einen, seinem Ur-ICH, und dann legte er in jede Seele einen kleinen Teil seines Selbst – sein eigenes Ich, das einst durch die Antwort geworden war, „Ich bin LIEBE.“ Seine Liebe teilte er aus an alles, das ein Ich hatte. Sich selbst gab er hinein und verströmte sich in jede Regung, die Liebe war. Und mit jeder Liebe-Regung in einem anderen Ich – strömte es zu ihm zurück! In seine Seele hinein kam das Echo von denen, die er so sehr liebte.
Alles in der Unendlichkeit stand still. In den Räumen, in den Welten hielt alles den Atem an. „Ihr seid MEIN, meine Geliebten!“ hauchte er in sie hinein. Und alles, was Seele hatte, erzitterte.
Auch die Familie selbst konnte nichts mehr denken. Alles versank in dem Moment in der Einheit mit Ewis Seele. Und nichts löste sich auf. Denn Ewi wußte nun, was diese seine LIEBE geworden ist. Ewi selbst war gerade zu dem geworden, was seine Wahrheit für alle Ewigkeit sein würde: Die FREIHEIT für jedes einzelne Ich dort draußen. Die Freiheit in seiner LIEBE. Dieser Freiheit konnte sich Ewi nun ganz hingeben, mit ihr verschmelzen und damit auf ewig das Versprechen selbst sein: Ihr seid frei, meine geliebten Kinder! Ihr seid zu meinem Leben und meiner Wahrheit geworden. Das bin ICH.
Ewis Geschichte hatte begonnen. Die Welten traten ein in ihre Freiheitswege.
3. Kapitel: Der Schöpfer
Wer aber würde den Plan und alles, was sein würde oder sein könnte, verantwortlich in die Hand nehmen? Ewi war versunken in den Seelen, das All-Eine würde nicht in der Freiheit erscheinen, und die sieben Ersten waren jedes in seiner eigenen Qualität in den Welten unterwegs.
Nur das All-Eine kannte jedes Detail der Welten und jedes Wesen darin. „Da ich allein Alles bin, kann nur ich die volle Verantwortung übernehmen“, faßte es zusammen. Bei meiner Seele hat die Vernunft ausgesetzt, und das scheint unser Reichtum zu sein. Aber trotzdem ist die Basis des Fortschritts das Wissen über jedes kleinste Detail. Es darf nichts entgleiten, auch nicht das Unvorhersehbare.“ Und es beschloß: „Ich werde all mein Wissen und meine Ideen, die für jedes freie Wesen den ewigen Fortschritt garantieren, aus meinem Selbst herausstellen. Ich will den gesamten Plan an einen Planer und Baumeister übergeben, und der werde ich selbst sein, und dennoch als ICH in der Unendlichkeit verbleiben. Denn dieses neue Teil von mir wird das Erste, das vollständig ins Vergessen eintaucht. So allein kann ich die völlig freie Entwicklung eines jeden Wesens garantieren.“
Die Seele interessierte sich nur am Rande für diese Neuigkeit, sie war völlig beschäftigt mit den Regungen der Liebe in ihren Kindern. Raphael war der erste, in dem sich Bedenken regten, ob das mit dem Vergessen nicht eine sehr riskante Sache sei. Uraniel fand es schlüssig und folgerichtig, denn es war ja absehbar, daß dies der Weg sein würde. Alaniel stimmte dem zu und wies gelassen darauf hin, daß mit der nötigen Ruhe und Geduld am Ende etwas Gutes für alle herauskommen würde. Michael war schon gar nicht mehr da; er hatte gute Freunde in speziellen Welten, denen er diesen grandiosen Plan sofort erzählen mußte. Die Henne dachte, och, och – wie kann man etwas vergessen? Das hat es ja noch nie gegeben!
Nachdem Ewi sich nicht blicken ließ und das All-Eine noch mit seinem Plan beschäftigt war, setzten sich die anderen, die sich noch gar nicht geäußert hatten, erstmal zusammen. „Das, Freunde“, fing Zuriel an, der in Bewegung geraten war, „wird weitreichende Folgen haben!“ Mehr kam aber nicht. Wohl hatten sie auch den ganzen Plan und alles Geschehen, was sein würde oder sein könnte, im Kopf. Aber wie sich das anfühlen würde, das hatte ja niemand erlebt. Niemand! Auch das All-Eine nicht.
Wie ist das denn gemeint – vergessen? „Das heißt doch, daß jemand, der eigentlich aus unseren Ideen geworden ist, ein Wesen angenommen hat. Dann erfuhr es ein Ich bin und begann, eigene Ideen auszuformen. War das nicht schon eine Abtrennung von uns?“ Zuriel bemühte sich um eine sachliche Bestandsaufnahme. „Sie sind doch ganz frei in ihren Wegen, oder nicht? Wie sollen sie vergessen, und was sollen sie vergessen? Das würde sie doch sehr verändern, oder?“
„Na, indem wir einen neuen Raum innerhalb der Weltenräume abstecken! Seid doch nicht so umständlich!“ – „Michael, mußt du immer so plötzlich auftauchen?“ Muriel war schon sehr in Gedanken und fühlte sich etwas aufgeschreckt. „Und so einfach ist das? Und woher weißt du das?“ – „Das haben wir alles schon besprochen, Alter! Sie freuen sich drauf.“ – „Wer freut sich worauf?“ Ließ denn schon die Gedankenverbindung nach, so daß man hier Fragen stellen mußte? Sind das etwa die Segnungen der neuen Freiheit? MARIA mischte sich nicht ein. Das Neue erschien vor ihren Augen und sie sah so vieles, was möglicherweise sein könnte und eben deshalb sehr wahrscheinlich geschehen würde. Sie wünschte, Ewi würde jetzt bei ihnen sein, denn etwas unbekannt Schweres schien sich in ganz weiter Zukunft anzubahnen.
Ewi spürte den Wunsch und die leichte Ratlosigkeit unter den Seinen und erschien, selbstverständlich, in demselben Moment. Und wieder entfaltete er seine ganze Wirkung, die in ihnen eine Sonne erstrahlen ließ und alle Unsicherheit hinwegschmolz. Kurz darauf erschienen die anderen aus ihren Welten, um auch daran teilzuhaben.
Michael kam als erster wieder zur Sache mit einer Neuigkeit: „Ihr glaubt nicht, was ich gesehen habe! Ich war gerade in einer meiner Lieblingswelten, da schoß ein solcher Blitz an mir vorbei, hinein in die Welt, und zwar so schnell, daß niemand von denen es bemerkte. Einer war ja gerade dabei, eine neue Idee zu formen, und – zack! – hielt der Blitz inne, es wurde ganz ruhig, und eine Gestalt erschien. Wirklich niemand hat bemerkt, woher die eigentlich kam. Jeder dachte, die Idee sei eben da und gerade ein neues Wesen draus geworden.“ – „Na, und, kann es denn nicht so gewesen sein? War eben eine gute Idee,“ dachte Uraniel. „Ha! Da frag doch mal das All-Eine, wo der wirklich herkam!“ tönte Michael. „Ich habe es gesehen, wo das herkam, los frag doch!“
Das mußte man ja nun wissen! Und alle konzentrierten sich auf die Unendlichkeit und sahen auch gleich das ganze Geschehen. „Wirklich alles hast du herausgegeben, den ganzen Plan?“ staunten sie. „Ja“, kam ein Lächeln zurück, „aber das hat mich doch überhaupt nicht gemindert! Ist denn Ewi weniger geworden, seit er in die Seelen eingezogen ist? Sehe ich denn anders aus als vorher?“
Sie konnten mal keinen Unterschied feststellen. „Und was macht der Plan nun da in der Welt?“ – „Er wird neue Räume für neue Welten erschaffen, meine Freunde. Und richtig, eure Vermutung stimmt. Er erinnert sich nicht, woher er gekommen ist. Er weiß es nicht einmal.“ Och, och! Der Henne wurde ganz schwummerig im Bürzel. Ob das denn gutgehen kann? Jeder weiß doch immer, woher er kommt! Aber weil ja nun ganz gewaltig was passierte, vergaß sie schnell ihre Sorge und starrte nur noch auf das neue Wesen. Dieses schlug nämlich wirklich ein wie der Blitz, kaum daß es die Lage erfaßt hatte.
„Hier muß was geschehen!“ lautete seine erste Ansage an die Bevölkerung.
Eigenwillen und neue Ideen
„Ja, bist du denn nicht zufrieden mit unserer Lebensweise?“, fragte man ihn. „Zufriedenheit kann nicht das oberste Ziel sein, um zu existieren!“ Er hatte noch Mühe auszudrücken, worum es ihm ging. Gedanken suchten in ihm nach klaren Wegen, er fühlte sich angetrieben von einer Unruhe, ein Brennen war in seiner Seele, aber es hatte weder erkennbare Ursache, noch wußte er, wohin es führen sollte.
Die Lebensgefährten faßten seine seltsame Art als Unsicherheit auf und versuchten, ihn in die Gemeinschaft zu binden, damit auch er glücklich sei. Er aber konnte sich nicht anpassen. Das Feuer von Ewis Seele brannte stärker in ihm als bei jedem anderen, und das versunkene Wissen des All-Einen kreiste unklar in seinem Kopf, ohne einen Fixpunkt im Denken zu finden. Und so verpulverte er seine Energie in Diskussionen, weil er hoffte, die anderen hätten auch solche Gefühle. Er ging davon aus, sie hätten auch solche Gefühle, und das führte zu dem ersten Problem in der ganzen Ewigkeit. Niemand hatte je ein Problem, nun mußte man einen Namen dafür finden, was dieses neue Mitglied in die Gesellschaft einbrachte.
„Wir leben, solange wir uns erinnern können, in der Harmonie mit allem, was wir kennen. Wir wollen nicht darüber diskutieren, was anders sein könnte! Alles ist perfekt und so soll es bleiben.“ Was waren das für Ideen, denen niemand folgen konnte? Sie drehten sich um mehr Freiheit, mehr Ich, mehr Persönlichkeit, um etwas Neues, das erst erdacht werden sollte. „Warum?“ fragten sie. Und er konnte es nicht erklären. Aber etwas absolut Neues war ja schon eingezogen: Das Gefühl der Ablehnung. Ausgrenzung. Man ging dem Unruhestifter aus dem Weg, weil man ihn nicht verstand und auch nicht wirklich verstehen wollte. Aber warum nicht? Weil man keine Resonanz in sich fühlte auf das, was er dachte und wollte. Es war nicht vertraut, man kannte so etwas nicht. Das genügte, um zu sagen, wir wollen es nicht.
„Wollt ihr euch nicht verändern?“ rief er aus. „Nein, wozu?“ Es war nichts zu machen.
Das All-Eine wunderte sich nicht. Das erste Wesen, das keine Erinnerung an den Ursprung seiner selbst besaß, brachte das Gefühl der Abtrennung in die Welt. Zusammen mit der liebebrennenden Seelenkraft Ewis führte das zu dem Drang, die Abtrennung zu überwinden und sich mit den anderen zu vereinen. Aber niemand sonst fühlte sich abgetrennt oder verspürte einen Wunsch, sich zu vereinen. Niemand war unruhig im Inneren. Nur das ‚andere Ich’ des All-Einen ahnte, was FREIHEIT sein könnte, nur er schaute in Räume, die noch nicht existierten und wurde angetrieben, sie zu erfahren und auszukosten. Aber bewußt war ihm das nicht. Er konnte einfach nicht anders sein, selbst wenn er gewollt hätte.
Er verstand aber sehr gut, daß er anscheinend der Einzige war, der sich vorstellen konnte, sich für etwas zu entscheiden, das es noch nicht gab, weil es noch niemand gedacht hat, sondern das er erst mit der Entscheidung neu erschuf.
„Was ist das für eine Freiheit“, wetterte er, „wenn ihr nicht einmal ahnt, daß es eine ganz andere Möglichkeit gibt?“ – „Wovon redest du, was für eine Möglichkeit? Wir haben jede Möglichkeit; wir haben Ideen, die wir in Form bringen, und die machen allen Freude. Was tust du denn? Womit erfreust du uns?“ Langsam wurde die Situation unerfreulich, und das störte alle anderen. War nicht die Harmonie immer das höchste Gut, immer Quelle von Glück und gemeinsamer Freude gewesen?
Das abgetrennte Ich des All-Einen, ausgestattet mit der Seelenkraft Ewis, begann einen ganz neuen Weg, der einmal die real gelebte Freiheit aller Wesen werden sollte, die Eigenschaften in ihnen entfalten würde, die sich noch niemand vorstellen konnte und die zu diesem Zeitpunkt niemand hätte haben wollen. Und der Weg verzweigte sich in Gabelungen, in immer mehr Möglichkeiten der Entscheidung, schließlich in den Zwang zur Entscheidung. Erstmals war nicht mehr jeder mit jedem einer Meinung. Zum ersten Mal wurde jeder vor die Frage gestellt – ja? Ja zu dem Anderen, der Unruhe brachte, oder – nein? Ihm fiel das Nein leicht, denn niemand wollte ihn bejahen. Das genügte ihm als „nein“. Damit war der Würfel gefallen, und sein Weg als Schöpfer begann mit einem Eklat. Er wanderte aus von seiner Welt.
Das freie Du
Immer, wenn etwas Erschreckendes passiert, erzittert die Unendlichkeit. Es kommt von der Henne, die sich aufrichtet und erschauert. Dies tut sie vor lauter Wonne, weil es sie schier nicht an ihrem Platz halten kann. Schrecken – das ist das ganz Unerwartete, das völlig Neue! Das ist auf jeden Fall so großartig und wunderbar, daß alles zusammenfährt, weil die Henne ihr „Ja, JAAAH!!“ hinausgluckst vor Begeisterung. Aber was war an dieser Neuigkeit denn begeisternd, als die erste Disharmonie der Geschichte ausgetragen wurde? Es war doch ein Schock, und keineswegs ein wonniger.
Das All-Eine war sehr wohl nachdenklich und betroffen, aber für das Allwissen konnte es kein Schreck sein. Es war der unausweichliche Weg in die Freiheit, die allein ein wahres Du erschaffen kann. Das Du in der Harmonie war jedes andere Wesen, weil die Grenzen zwischen Ich-Gefühl und Wahrnehmung der Anderen fließend waren. Jeder wußte, was die anderen bewegt. Man konnte nicht jeden Gedanken lesen, wollte es auch gar nicht, aber in jedem Augenblick war solche Kommunikation möglich, wenn der Andere das wollte. Es gab keine Rätsel oder Mißverständnisse. Niemand wollte etwas alleine machen oder sich verschließen.
Aber das All-Eine war eben wirklich das Einzige und deshalb allein. Die anderen Wesen spiegelten schon sehr viel hinein an Antworten: So sind wir, so bist Du! Aber so ganz allein und einzig wie das All-Eine war niemand, und deshalb konnte niemand ein ganz echtes Du für das All-Eine sein. Dazu konnte man ja auch niemanden zwingen, daß er sich in ein solches Alleinsein begeben sollte, nur um genau so zu sein wie das All-Eine. Nur das ‚andere’ Ich konnte dazu gezwungen werden, denn das war ja das All-Eine selbst. Dieses mußte nun alles genau miterleben, was in ‚dem Anderen’ vor sich ging und was da passierte: Das erschreckend Aufregende war das Gefühl der Trennung zwischen dem Schöpfer und seinen bis dahin Lebensgefährten. Das war ein nie dagewesener Ausdruck der Freiheit: das erste „NEIN!“, und gleich darauf das erste: „Dann gehe ich. Ich will allein sein.“
Die Familie saß still beieinander, mit dem All-Einen eng verbunden, und fühlte die Schauer der Kraft durch die Unendlichkeit zittern. Sie fühlten mit dem All-Einen und dem Schöpfer. Sie sahen das einsamste Wesen, das ein Ich-Gefühl besaß und kein Woher kannte – es so wenig kannte, daß es nicht einmal danach fragte.
„Wird er je zurückkommen?“, sinnierte ein bedrückter Raphael. Was für neue Gefühle plötzlich da waren. Nicht einmal Michael fiel eine witzige Bemerkung ein. Aber er ließ keinen trüben Gedanken zu, im Gegenteil. „Freunde“, so begann er seine Rede, „wir alle haben einen Willen, und nicht nur ich. Ich bin der Wille, und ihr habt einen. Wenn der Schöpfer es will, wird er zurückfinden, denn auch er hat den Willen zu tun oder zu lassen. Freiheit ohne Willen gibt es nicht.“
„Auch wir haben den Willen, sagst du.“ Zuriel hatte darüber noch nie nachgedacht und sah ihn jetzt aufmerksam an. „Das hieße doch, daß wir auch den Willen zur Freiheit hätten.“ – „Das hieße sogar, daß wir möglicherweise die Freiheit zu einem Nein hätten?“ staunte ein anderer. „Aber das würden wir nie denken!“ – „Warum denn nicht? Habt ihr nicht gerade erlebt, wie das All-Eine darauf reagiert?“ – „Das wäre Disharmonie, Freunde, das ist unvorstellbar!“ – „Für dich vielleicht, aber du siehst doch, daß es schon passiert ist!“
Ja, es war passiert. Und wie sollte das weitergehen?
Michael hatte nicht viel zu denken und auch kein Problem damit. „Ich werde jedenfalls mit meiner ganzen Kraft beim Schöpfer sein! Da ist gar nichts zu überlegen. Er wird meinen Willen brauchen bei dem, was er vorhat, denn er vergaß ja alles, was er an Kraft hat. Ich werde mit ihm gehen, wohin auch immer. Und wenn er mich braucht, bin ich da.“
Och, och, welche Kraft, welche Entscheidung! Michael, Flamme in der Unendlichkeit! Die Henne wußte nicht mehr, wie sie sitzen sollte, so zuckte es in ihren Flügeln. Sie blinzelte heftig und konnte es kaum aushalten, wie es weitergeht.
Uraniel mußte keine Rede halten, jeder wußte, daß er genug zu tun bekäme, für die neuen Räume des Schöpfers eine Ordnung zu erstellen. Für Alaniel änderte das alles gar nichts. Zuriel dachte nach. Raphael wußte nicht, was er davon halten sollte. Sein Mitgefühl mit dem Schöpfer wurde immer größer – nicht zu wissen, wohin man gehört! Sein Herz wurde irgendwie etwas schwer, und er beschloß, es so zu machen wie Michael. Denn das andere Ich vom geliebten All-Einen so verlassen zu sehen, das konnte er nicht ertragen. Also wollte er ihn mit seiner ganzen Liebe begleiten, denn an die würde er sich doch bestimmt erinnern!
MARIA war kaum zu sehen und sie verbarg auch ihre Schwingung, an der sie zu erkennen war. Sie war beiseite gegangen, um sich mit dem All-Einen zu beraten.
Der Schöpfer indessen fühlte sich überhaupt nicht verlassen und verloren, im Gegenteil! Er war froh, war die Diskussionen leid, und fest entschlossen, eine Welt zu finden, wo man ihn besser verstand. Genug davon gab es ja. Sollte sich keine finden – nun, dann würde er eine erschaffen. So waren die anderen ja auch entstanden, und was die anderen können, ha! Ja, Jaaaah! tönte es in seinem Bauch, oder da, wo man bei einem nichtkörperlichen Wesen einen Bauch vermuten könnte. Und eine Kraft beflügelte ihn, die sagte, daß es richtig sei, was er da tut.
4. Kapitel: Die neue Schöpfung
Während alle anderen mit den Aufregungen des Neuen beschäftigt waren, hörte auch Muriel den Ruf des All-Einen und trat zu ihm und MARIA. „Es geht los“, sagte es schlicht. Die beiden wußten, was gemeint war. „Muriel, unser Bau wird ein neues Stockwerk bekommen.“ – „Ja, ich bin bereit. Wir werden die Vorbereitungen für das Feld der Freiheit nun bald abschließen. Ich nenne es den Raum der ZWEI, die Polarität. Und auch wir werden uns verändern.“
„Es wird eine Bereicherung, kein Grund zur Sorge.“ MARIA schaute in die Unendlichkeit des All-Einen: „Du hattest mich LIEBE genannt, die sich entäußert. Ich bin bereit, das Letzte zu geben für deinen Plan. Zeige mir aber, wie du es meinst. Was genau ist Barmherzigkeit?“ Und weil es nichts Verstecktes zwischen ihnen gab, sahen sie in der fernen Zukunft die Ewige Liebe und MARIA zusammen, in einem Schöpfungsraum, den es noch nicht gab. Und diese Welt war versunken in einem Meer von Dunkelheit und Schmerz. Sie konnten nicht einordnen, was da zu sehen war, denn sie hatten gar keine Resonanz, nicht die geringste Erfahrung, an die sie anknüpfen könnten. So sahen sie nur Bilder und wußten, was mit Schmerz gemeint war und wußten sogar, daß sie diesen einst selbst erfahren würden. Im Moment waren da nur eine Bestürzung und Ratlosigkeit. „Ich werde euch niemals drängen“, begann das All-Eine vorsichtig, „in solche Wege einzutreten. Wir wissen nicht, wie sich das anfühlt und wir wissen nicht einmal genau, was das mit uns machen wird. Wir werden uns verändern, und die Veränderung wird ewig bleiben.“
„Wir werden doch nicht viel anders sein können, als wir eben sind, Ewigkeit“, dachte Muriel. „Wir sind du, und wie du bist, wissen wir.“ Aber MARIA wiederholte: „Wir wissen nicht, was es mit uns machen wird. Wenn das deine Barmherzigkeit sein soll, daß ich mich meines Eigenen, auch meines freien Willens ganz entäußere, so wird meine LIEBE stark genug sein, darin meinen Sinn zu erkennen.“
Muriel nahm MARIA ganz in seinen Blick und sein Herz. Tief in sich formte er Gedanken an das All-Eine: „Ich werde niemals von deinem Wunsch abweichen, denn du bist mein Sein. Nur durch dich kann ich werden, was du dir träumst, und das ist mein Wille. Ich gehe in jeden Raum, der für dein DU erschaffen wird und tue alles, was sein muß.“
In der Ewigkeit wurde es verankert, daß freie Wesen ihren Willen beschließen. Der Wille war ihre Liebe, und die Liebe wurde zu Willen. Nun spürten sie UR-Kraft wie noch nie durch sich fließen, direkt vom All-Einen zu ihnen hin. Und sie sahen erstaunt dorthin, wo eine gewaltige Doppelsonne hintereinander stand, so daß sie aussah wie eine. „Was ist das?“ fragten sie. „Das ist das Eine und seine Seele, die zwei und doch eins sind“, kam es aus dem Licht. „Bis mein DU und seine Schöpfung heimgekehrt sind, werden wir ein WIR sein, für euch und für alle zum Anker. Denn auch ihr werdet nun in die Freiheit gehen und werdet zwei werden und doch eins sein.“
In der Doppelsonne erschien der Schemen einer Gestalt, ein Bild ganz aus Feuer und Licht:
Der Schöpfer.
Uraniel ordnete an, daß die Sieben als all-einige Wesen dem Grunde nach bleiben und sich eine Bezeichnung geben: UR-Geister, UR-Engel, UR-Erzengel. Alle einigen Wesen würden sich dann Engel nennen, während die Wesen, die in der Freiheit ihren Willen erproben wollten, zu freien „Kindern“ würden. In dem neuen Schöpfungsraum, der gerade aufgebaut wurde, würde sich aber niemand mehr daran erinnern können.
UR und das All-Eine
Eine Tür schlug zu in der Unendlichkeit. Zurück blieb das All-Eine. In der nun eingetretenen Ruhe gab es nichts weiter als die spürbare Gegenwart der Ewigen Kraft und des „ICH“.
„Hey du“, flüsterte die Henne. „Ja?“ kam es zurück. Endlich! Ich werde gehört, ich werde GEHÖRT!! Och, och, ich kann mich aussprechen, ich kann denken. Bist du mein ICH?
Ja, gewiß.
Und du weißt, daß du ich bist?
Ja! Ich spüre mich, also sind da zwei, und beides bin ich – oder du, wie du willst.
Was machen wir jetzt?
Du siehst doch, was wir machen, schau hin.
Und die Henne schaute, und das All-Eine schaute. Und die Henne sah alles wie durch die Augen ihres Ichs. Und die Henne fühlte alles, was das All-Eine fühlte. Und das All-Eine fühlte alles, was der Schöpfer fühlte, und so fühlte auch die Henne den Schöpfer. „Was sind das für wundervolle Erlebnisse, mein Ich!“, hauchte die Henne. „Ich bin ja überall da, wo du hinfühlst, als sei ich wirklich dort.“ – „Wir sind das alles, du meine Kraft.“
Metatron
„Wir wollen nicht nur mit uns allein sein, jetzt wo alles unterwegs ist. Wir wollen hier jemanden haben.“ – „Das geht aber nur hier in der Unendlichkeit, denn auf die anderen Welten nehme ich keinen Einfluß mehr.“ Also konzentrierte sich das All-Eine und ersann sich ein Wesen, das sowohl die Kraft der Henne wie auch die Doppelsonne würde ertragen können, wenn es denn hier bei ihnen sein sollte. Und das gelang! Es bildete sich der erste echte Engel als geschaffenes Wesen, und er bekam ein Ich-Bewußtsein und erwachte vor dem Angesicht des All-Einen. Es war der herrlichste Anblick, nur daß niemand sonst ihn genießen konnte: Metatron.
Metatron und das All-Eine sahen einander an und versanken in Liebe zueinander. O mehr davon! hauchte die Henne, es ist so wunderschön! Metatron lächelte, denn er konnte die Gedanken hören. Und es wurde eine Welt von leuchtenden Engelwesen erschaffen durch Metatron, jedes einzelne zur Freude des All-Einen, und damit die gegenseitige Liebe in der Unendlichkeit erstrahlen sollte. Alle erhielten aus der Seele von Ewi ihr Licht, aber für sie waren da nicht zwei Sonnen, denn sie konnten nur Einheit sehen. Metatron war so groß, daß er mit seinen Flügeln das Licht der Sonnen dämpfen konnte und mußte, weil sonst die ganzen Engel vergangen wären vor LIEBE und kein Ich hätten haben wollen.
So zog eine große Freude ein in die Unendlichkeit und viel Gesellschaft für die Henne.
Der Ideologe
Auf den speziellen Welten ging alles seinen ruhigen Gang. Das beunruhigende Erlebnis einer dieser Welten mit einem Familienmitglied wurde beiseite gelegt.
Wirklich von jedem?
Einer der ersten Lebensgefährten des Schöpfers hatte wohl zu gründlich hingehört, wenn dieser Unruhestifter gesprochen hat. Er fand überhaupt nichts Absonderliches an den Gedanken, sondern spürte nichts als eine freudige Aufbruchstimmung, wenn er daran dachte. Es tat ihm sehr leid, daß der Neue fortgegangen war. Und so sehr man ringsum sich immer wieder gegenseitig versicherte, daß nun alles wieder in Ordnung sei, glaubte dieser eine das nicht so recht. Er nahm Veränderungen wahr, da konnten die anderen noch so die Augen verschließen. Zum Beispiel war es nicht wie früher, daß automatisch jeder mit jedem völlig einer Meinung war! Es gab meist eine Verzögerung, bevor man sich entschloß, derselben Meinung zu sein. Er hatte auch versucht, diesen Punkt anzusprechen, war aber auf taube Ohren gestoßen – nein, das sei überhaupt nicht so, wurde er korrigiert, eher sei er selber noch etwas verwirrt durch das Erlebnis mit dem Ausgezogenen.
Aber das war doch schon der Beweis, daß sie nicht mehr einer Meinung waren! Dem mußte man unbedingt auf den Grund gehen, das konnte man nicht einfach wegschieben! Und weil das hier ja wohl nicht möglich war, blieb nur eine Möglichkeit.
Wir nennen den ersten Querdenker „Nummer Eins“. Er begründete die Individualität des Ichs, das wesentlich aus der Einheit kam und nun die reale Freiheit erproben sollte. Nummer Eins wurde zum Ideologen, zum Denker, aber noch war er sich der Tragweite seines Entschlusses nicht bewußt, ebenfalls ein Nein zu statuieren gegen die Überzahl derer, die keine Veränderung wünschten. Und auch das war eine Verneinung, denn die Veränderung bestand ja schon!
So ergab sich die Freiheit, etwas zu verneinen, was eine Tatsache war. Daraus folgte sogleich, daß sich Wahrheit bildete. Sie entstand nur, weil die Realität bereits die Verneinung einer Tatsache möglich machte, was bedeutet, daß ETWAS nicht wahr sein kann. Es gab eine Nicht-Wahrheit, die dennoch statuiert wurde als seiend – Ja sagen zu etwas, das nicht wahr ist.
Das ist die Vorbedingung für eine Welt der Polarität. Nur so war es möglich, die Freiheit des Ich vom Du zu erleben.
Du bist nicht ich – und ich bin nicht du! Das gibt es nicht, diese Aussage ist nicht wahr. Und doch wurde es Realität. Der Querdenker Nummer Eins folgte der Spur, die der Ausgewanderte gelegt hatte, dachte seine Gedanken weiter, ließ sich faszinieren, begründete für sich eine „Philosophie“, die allein im Denken einen Sinn fand. Jeder Gedanke konnte ebenso andersherum gedacht werden. Wirklichkeiten, Wahrheiten – alles war möglich, alles war optional und grenzenlos.
Der andere, der den Samen für solche Entwicklung in die Welt gesetzt hat, der Blitzstrahl aus dem All-Einen, war bereits auf einer anderen Welt angelangt. Als neues Ich in seiner Abtrennung und Unbewußtheit nennen wir ihn „den Lord“.
Fortsetzung folgt
Pingback: Das Programm | Myriels Flammenschwert