Mitsommernacht

Ich konnte nicht schlafen,
etwas rief mich hinaus
in die seltsam lebendige Juninacht.
Es schien kein Mond, alleine die Sterne
hatten die Lichtlein angemacht.

Es roch so würzig nach frischem Heu,
die Linden verströmten Honigduft.
Lautlos durchschossen Fledermäuse
die seidige, dunkle Sommerluft.
Vom Feldrain duftete die Kamille.
Welch wundersame Sommerstille.

Im Dörfchen unten blökten paar Schafe,
auch bellten Hunde, mal hier mal da.
In diesen Nächten wird es kaum dunkel,
im bläulichen Lichte ich alles sah:

Von irgendwoher erklang Musik,
kaum hörbar,
und dennoch deutlich zu spüren.
Als hätte die Nacht ihren eigenen Rhythmus
und leise schien alle Welt zu vibrieren.

Ganz dunkel, schmachtend, losgelöst
spielte dazu jemand ein Saxophon,
als schlenderte hier der Sommer dahin,
verloren, schmiegsam und monoton.

Ich lief den schmalen Feldweg hoch,
das Gras war schon vom Tau erfrischt,
war hier schon tausendmal gegangen,
doch diesmal kannte ich es nicht.

Die hohen Bäume dicht am Wege
hatt´ ich am Tage nie erblickt.
Auch nicht die kleine Wiesenfläche,
das Gras zertreten und zerknickt.

Selbst diese Schlucht zur linken Hand
gehört´ bei Lichte nicht hierher,
und dennoch hab ich sie gekannt
als ob sie dort schon immer wär.

Der kleine Hügel rechts vom Weg –
auch ihn gab´s erst seit jener Nacht
war in ein helles Licht getaucht
und reich geschmückt mit großer Pracht.

Dann sah ich sie, die grauen Schemen,
die aus der Nacht zu tauchen schienen,
als kämen sie aus tiefem Grund,
großäugig, ernst, mitTrauermienen.

Ganz hinten sah ich ein Podest,
als fernes Ziel für jedermann,
denn alle schauen sehnsuchtsvoll
die Menschen, die dort standen, an.

Doch vorerst stand mir nicht der Sinn,
die helle Bühne zu erkunden,
hab ich doch in dem tiefen Schatten
bedrückte Menschen vorgefunden.

Fast alle Menschen waren jung
und meist von tiefer Traurigkeit.
Sie lauschten stumm dem Saxophon,
als klage es ihr eigenes Leid.

Einige tanzten eng umschlungen
und wiegten sanft sich hin und her.
Dann lösten sie sich voneinander,
als ob der Partner gar nichts wär.

Wenn sie sich dann gelöset hatten,
verkrochen sie sich tief im Schatten
und starrten nach dem Lichte hin.
Ein neuer Tanz, ein kurzes Glück,
und wieder zog man sich zurück.

Die meisten aber waren einsam –
die Augen groß, das Herz so schwer,
als hofften sie auf gar nichts mehr.
Sie hatten wohl die Illusion
des kurzen Glückes losgelassen.
Halt suchen wollten sie beim Partner,
doch sie bekamen nichts zu fassen.
Wollen zwei Schwache sich ernähren,
muss jeder doch am anderen zehren.

Doch schienen alle auf der Suche,
als würden sie sich heftig sehnen.
Vielleicht, dass sie lebendig würden,
unwandelbar Kontur bekämen.
Denn alle diese jungen Leute
schienen mir seltsam dünn und schwach,
Sie standen selber noch im Schatten,
und schauten neidisch allen nach,
die ihren Weg bewältigt hatten.
Das Ziel für alle, stellt´ ich fest,
war das erleuchtete Podest.

Ein junger Bursche tritt auf mich zu,
er taumelt, strauchelt, hält sich fest,
sagt, dass er mit mir tanzen wolle
und dass er mich nicht von sich lässt.
Ich fühle seine kalten Hände,
vermiss´ das kleinste Wangenrot
und jedes Feuer in seinen Augen
und stelle fest, der Kerl ist tot.

Ich schiebe ihn weit weg von mir,
er kann sich überhaupt nicht wehren:
„Geh heim.“ Und ich bedeute ihm,
ich würde hier nicht hergehören.

Er klammert etwas, lässt dann los,
geht in die blaue Nacht hinein,
als taste er, probierend erst
und suchend – sich ins neue Sein.

Er geht hinüber zum Gebüsch,
welches die tiefe Schlucht versteckt,
er löst sich auf und ist dahin,
dann habe ich ihn nicht mehr entdeckt.

Ein reges Kommen und ein Gehen
ist´s auf dem Tanzplatz in der Nacht.
Sie tanzen und sie lösen sich,
es hat das Tanzen nichts gebracht.

Viele junge Leute bahnen sich
den Weg aus finsterem Gebüsch.
Sie kommen voller Euphorie
und starren hoffend in das Licht.

Und klaglos gehen sie zurück ins Gebüsch,
dahinter die Schlucht. Wissen sie´s nicht?

Ich denke, sie wissen sehr wohl, was sie tun.
Sie lassen sich einfach ins Tiefe fallen,
wie man vom Albtraum in Tiefschlaf fällt
und dabei nicht am Boden zerschellt.

Und morgen wieder das gleiche Spiel,
der nächste Anlauf, ein neuer Tanz.
Wieder ein Absturz, reicht noch nicht ganz.
Nochmal versucht, noch nicht geschafft.
doch jedes Mal ein Quentchen mehr Kraft.

Wie ein Kletterer vor einem Gipfel.
Er trainiert und versucht, bis er es schafft.
Da käme doch immer der Tod dazwischen?
Vielleicht verleiht der die neue Kraft?
Sehnsucht wird seine Kräfte treiben
und eines Tags wird er oben bleiben,

Ein Mädchen fällt mir besonders auf,
weil in ihr allerhand Tatkraft steckt.
Zwischen all den Trauergestalten
hab ich ein Bündel Leben entdeckt.

Sie hat dies gewisse Etwas im Blick,
nun zu beenden ihr Missgeschick.
Dieser Wille und diese Kampfeslust,
nun zu beschließen den ewigen Frust:
Hinauf auf die Bühne, hinauf auf´s Podest,
wo es endlich im Lichte sich leben lässt.

Sie scheint es zu schaffen, man sieht es ihr an.
Sie bahnt sich den Weg, so kräftig sie kann.
Mit Drängeln, Fußtritten, Ellenbogen
ist sie bald allen davongezogen.

Kein Taumeltänzer kann sie umschwärmen,
keine strauchelnde Schwester hängt sich ihr an.
Sie will sich am eigenen Glanz erwärmen,
den sie dort oben nur ausstrahlen kann.
Kein Saxophon verwirrt ihr Gemüt,
kein sanfter Klang sie herunterzieht.

Dort auf dem Podest wird der Takt geschlagen.
Sie schaut hinauf: „Und ich schlage mit!
Man wird mich nie wieder zu Grabe tragen,
ab jetzt bestimme ich selbst jeden Schritt.“

Schon klettert die ersten Stufen sie hoch,
von unten sucht man, sie zurückzudrängen,
indem sich alle, die auch dort hin wollen,
sie fest umklammern, sich an sie hängen.

Jetzt muss sie wirklich Kräfte beweisen,
und diese Anhängsel von sich reißen.
Und sie tut es, verbissen und konsequent,
weil sie´s mit Ballast nie schaffen könnt´.

Die Tritte ans Schienbein sitzen perfekt.
Was für eine Kraft in dem Mädchen steckt!
Keine Skrupel und falschen Rücksichten mehr!
Doch schon kommt Gefahr von oben her.
Die Stürmerin wird nicht gut empfangen,
man sucht sie eher hinabzustoßen.
Die Leute dort oben sind privilegiert,
und dünn ist die Luft bei diesen ganz Großen.

Klein ist das Podest und sehr beengt,
dass einer beinah auf dem anderem hängt. 
Alle, die oben sind, haben´s geschafft,
man lebt luxuriös und im Rampenlicht,
man wird bedient und man wird verwöhnt,
aber ob man geliebt wird? Weiß man nicht.
Man wird verehrt, es wird einem hofiert,
bis man jeden Gedanken an unten verliert.

Das Saxophon ist jetzt ganz verstummt.
Dort oben spielt einen andre Musik.
Triumphmärsche werden dort geschmettert,
auf Schlagzeugen wird rasant gebrettert,
Trompeten und Orgeln geben den Ton.
Denn die leisen Töne, wer will die schon?

Keiner kann auf der Plattform ewig stehen.
Immer wenn einer kommt, muss ein anderer gehen.
Doch vorerst hat es das Mädchen geschafft,
dort steht sie wankend und strahlend vor Glück.
Sie hat ihre höchste Hürde genommen,
muss nie mehr in den Abgrund zurück.

Schon wird sie begrüßt von der Königin,
die überreicht ihr Armband und Kette,
damit sie für diesen grandiosen Sieg
ein stolzes und ewiges Zeichen hätte.
Nun stehen die feinen Damen da oben,
mit massiven Goldketten um den Hals,
dass passende goldene Armband dazu,
ihr Aufstieg lohnte sich jedenfalls.
Die Herren erhalten aus Königs Hand
einen Degen und einen Orden am Band.

Die andern, die unten im Dunkeln sind,
richten neiderfüllt ihre Blicke dahin.
Dies stärkt den Willen und weckt den Wunsch,
ebenso auf des Lebens Bühne zu ziehen.

All die Erlauchten dürfen jetzt tanzen
ihren einmalig schönen Hochzeitsflug,
vom tiefsten Dunkel zu glänzenden  Bühne.
Sie tanzen berauscht, kriegen gar nicht genug
von des Lebens Krönung, dem Sommernachtsball,
Da klingen wahrhaftig tausende Geigen:
´Schaut alle auf mich, ich werd´ euch´s zeigen.´

Bis zum Wechsel, zum Absturz, zum tiefen Fall.

Ich sehe: Die Klunkern sind gar nicht echt.
Es schimmert hindurch das Eisen und Blech.
Es bekam jede Dame, was keine gern hätte,
um den Arm eine Fessel, um den Hals eine Kette.
Und die Degen der stolzen Herren, die dienen
wohl allenfalls als Tötungsmaschinen.
Selbst die Orden am Band aus des Königs Hand
taugen wohl dazu, dass man sich verzehre
nach einer falschen, der äußeren Ehre.

Ja, wenn dort oben ein Bleiben wär!
Aber dort sich zu halten, ist äußerst schwer.
Zu klein das Podest, zu groß das Gedränge,
dass jeder für immer hinauf gelänge.

Ich selbst wollte nicht dies Podest erklimmen,
war nur zufällig Zeuge des Ganzen,
und sah nur mit gebührendem Abstand
ihr Kämpfen und Fesseln, ihr Töten und Tanzen.

Ich sollte jetzt besser nach Hause gehen,
doch die Bühne wollt´ ich gerne noch sehen.
Also schlich ich mich heimlich hinters Podest,
hier war es stockfinster, stellte ich fest,
Hier muss doch vom Podium der Abgang sein –
und schon rutsche ich in ein Loch hinein.

Ein schmaler Gang mit diffusem Licht,
rechts und links mit Verschlägen dicht an dicht.
Darin wohnten Menschen, ich glaubte es nicht,
hindämmernd in einer endlosen Stille,
verkrüppelt, gebrechlich, ohn´ eigenen Wille.
Krank, und verwundet, siech und verwirrt.
Schrecklich, ich hatte mich nicht geirrt.

Kurz war der Tanz, vorbei war das Lachen.
Dieser Höhenflug birgt ein bittres Erwachen.
Wer auf´s Podest will, muss kämpfen lernen,
will er´s nun wahrhaben oder auch nicht.
Er kämpft für´s Gehen wie auch für´s Bleiben,
und trotzdem entgeht er dem Absturz nicht.

Er verursacht Wunden und kriegt Blessuren,
steckt Hiebe ein und teilt Schläge aus.
Er geht als ein Engel ins Spiel hinein
und kommt als ein Teufel wieder heraus.
Für jeden Schlag, den im Außen er führt,
zerstört sich im Inneren sein Gemüt.
Schnell ist das Böse gesagt und getan,
die Sühne aber hält lange an.

Vom Podest stürzte man in die Tiefe hinab
und litt wohl die alten Sünden nun ab.
Jeder Tritt, jeder Hieb, jeder Stich, jeder Schlag
als eigene Verletzung am Boden nun lag.
Die eigene Tat würde jeden ereilen.
Dann würden die alten Wunden heilen.

Ich lief diesen breiten Gang entlang
und die Menschen da drinnen schauten heraus.
Ich kannte die meisten und sie kannten mich,
unendlich teilnahmslos schauten sie aus.

Fast jeder versuchte mich reinzulocken
ins stickige, klinische Leidensverlies,
sie wollten zu gerne mich bei sich haben,
aber ich gab Acht und vermeidete dies.

Käme ich schnell wieder aus ihren Klauen?
Wie gehässig sie auf den Gang heraus schauen.
Argwöhnisch und boshaft scheint ihr Gemüt:
Sie sind einfach da, aber nichts geschieht.

Man sagt zwar, die Zeit heile alle Wunden,
doch wer kann in diesen Verschlägen gesunden?
Völlig abgestumpft vegetieren sie nur.
Und die Zeit scheint ihnen die größte Tortur.

*

Endlich, da vorne ist eine Tür,
kann endlich wieder ins Freie gelangen.
Denn hier, in dieser bedrückenden Anstalt,
wäre ich nur sehr ungern gefangen.

Ich sehe auch endlich ein lebendes Wesen
unter den vielen Siechengestalten.
Ein junge Frau eilte hin und her,
um diese Abteilung am Laufen zu halten.

Sie muss ein Engel gewesen sein,
strahlend vor Schönheit mit feurigem Blick,
sie duftete förmlich nach Blumen und Liebe,
nach Reinheit und Freude – was für ein Glück!

Kurz vor dem Ausgang trat sie auf mich zu,
umarmte mich herzlich und strahlte mich an.
Ich fragte sie, ziemlich bestürzt vom Spital:
„Warum hat man Menschen dies angetan?
Isoliert? In Verschlägen? Sich selbst überlassen?
Wer kann solche Grausamkeiten erfassen?“

„Diese Wesen sind alle freiwillig hier.
Sie haben sich selbst die Verschläge gebaut.
Sie wollen ihre Boxen auch niemals verlassen.
So ist das, wenn man keinem mehr traut.
Sie trauen allen nur Böses zu,
fast alle haben sehr bittere Erfahrung.
Sie scheinen zu leben, doch leben nicht.
Sie durchlaufen die Heilphase ´Aufbewahrung´.“

„Und warum und wozu bewahren sie sich auf?
Sie leben doch offensichtlich in Not.
Sind hämisch, hasserfüllt, unzufrieden
und warten wahrscheinlich auf ihren Tod.“

„Sie konservieren den Schmerz
im verschlossenen Herz.
Ihre eigenen Herzen sind ihre Verschläge,
sehr ichbezogen, beengt und träge.
Sie finden sich mit den Brosamen ab,
die ihnen ein garstiges Schicksal gab.

So leben sie arm, aber komfortabel.
Brauchen nichts in Frage zu stellen,
glauben alles, was andere erzählen,
fühlen sich arm und bemitleidenswert,
und frei zu sein, finden sie unerhört.

Wären sie frei, müsste keiner sie pflegen.
Sie müssten sich selber wieder bewegen.
Also kapseln sie sich lieber selber ein,
um endlos schwach und hilflos zu sein.“

„Also, Engel – darf ich dich Engel nennen? –
lern doch die Erdenwelt erst einmal kennen!
Wir sind alle geschwächt und alle marod,
aber deswegen ist von uns keiner tot.“

„Baust du dir erst mal einen Verschlag
und richtest dich dort behaglich ein,
kann´s mit dem Leben weit her nicht sein.
Sahst du hier eine verschlossene Tür?
Alles ist frei und zugänglich hier.“

Tatsächlich. Sämtliche Türen sind offen,
auch die Tür hinaus in die freie Natur.
„Engel“, sag ich, „ich bin trotzdem betroffen.
Du siehst das Elend und verwaltest es nur?“

„Ich greife nur ein, wenn der Mensch das will,
kann nicht seine Freiheit in Frage stellen.
Wer hier ist, der will exakt dieses Leiden
zu seinen Erdenerfahrungen zählen.
Seine Erfahrung darf ich nicht verhindern,
ich würde damit sein Wachstum blockieren.
Er muss lernen, selber sein Leid zu verwinden,
er muss sich selbst in das Leben führen.“

„Trotzdem, Engel, find´ ich es ungerecht,
wie grauslich mancher Mensch leiden möcht´.
Und alle schauten mich grimmig an,
als hätte ich ihnen dies angetan.“

„Bist du erst mal im Schlamassel drin,
willst gerne du andere mit runterziehen.
Nicht angenehm, wenn die Sinne umnachten
und die Körper leiden und hinfällig werden.
Sie wollten dies als Erfahrung betrachten,
so heftiges Leid gibt es nur auf Erden.

Es ist eine Erfahrung, die wollten sie haben.
Sie haben sich selber hier eingegraben.
Jedes Menschen Seele hat Kenntnis davon:
auf menschliches Tun folgt entsprechender Lohn.

Und willst du das Dunkel wirklich verstehen,
musst du selbst fühlen und nicht nur sehen.
Woher käme sonst wahres Mitgefühl,
wenn man es selber nicht fühlen will?“

„Wie kommen sie aber wieder heraus?
Das sieht nicht nach schneller Heilung aus.“

„Durchschau das Prinzip! Wäge ab und begreif:
Leid macht sie geduldig, weise und reif.
Lass dich nicht täuschen vom äußerem Schein:
Bald werden die Seelen veredelt sein.“

„Du sagtest eben, sie wären tot.
Jetzt plötzlich sind´s menschliche Edelsteine?“

„Ihr dunkles Tun wird durch Leid vergoren,
dann strahlen sie wieder von ganz alleine.
Dann stehen sie auf, gehen hinaus
und strahlen Bewusstsein und Liebe aus.
Bereichert durch gute und böse Erfahrung
und geklärt im Fixierbad der Aufbewahrung.“

„Warum gibt´s kein Leben in ewiger Freude?
So eine Art ´ewiger Juninacht´?
Glaub mir, der schlimme Anblick hier drinnen
hat mich um die Sommerfreuden gebracht.“

„Schau her,“ sagte sie, „so ist das Leben.
Du steigst aus dem Dunkel unzählige Mal.
Irgendwann schaffst du es auf´s Podest,
setzt dich am liebsten für immer dort fest.
Doch einer kann unbewegt oben kleben.
Irgendwann muss es den Absturz geben.

Niemand kann´s ändern, nichts bleibt dir erspart.
Der Sommer ist weich, der Winter ist hart.
Das Pendel schlägt hin, das Pendel schlägt her.
Tot wärest du nur, wenn es nicht so wär.

Mit Läutern verbringst du die letzten Jahre,
krank, einsam, verwirrt, als stürbest du ab.
Doch nur deine ausgediente Umhüllung
liegt mehr oder minder beweint im Grab.

Hier liegen die Schwerter und Ehrenzeichen.
Hier legst du Ketten und Fesseln ab.
Ab sofort bist du wieder ein leeres Blatt.
Alle Erfahrungen sind vergoren,
du hast alles gewonnen und alles verloren.
Aber – du wuchsest ein ganzes Stück.
Kraftvoll und schön kehrst du zurück.“

Ich trat aus der Tür auf ´nen freien Platz,
im Morgenlicht, von Palästen umstellt.
In der Mitte quadratisch ein Wasserbecken.
Eine seltsam unterkühlte und leere Welt.

Im Wasser schwimmt einsam ein Blumenkranz,
so wie ihn die Mädchen im Sommer sich binden.
Er treibt zu mir her und wieder vorbei,
dann sehe ich ihn im Strudel verschwinden.

Es verschwindet die Sehnsucht,
es betrübt sich der Glanz,
und Leid putzt dich rein
im ewigen Tanz.


Bin ein leeres Blatt, das es gilt zu beschreiben.
Ich frage nicht, wie lang werde ich bleiben.
Genial, dass beim Kämpfen, Leiden und Lieben
die Lebensräume sich ständig verschieben.

Ein Pendelausschlag zur Mittsommernacht –
der warmen Juniluft bittrer Geschmack.
Wie verloren schlendert der Sommer dahin,
er schlendert noch, wenn ich im Winter bin.

Und schon hör ich ihn wieder,
den Mittsommerton –
ein betörend schmachtendes Saxophon.
Nachtfalter flattern, ein Lämmchen blökt.
Die Sterne scheinen ganz unbewegt.
Die blaue Natur vibriert ganz leise.
Köstlicher Sommer.
Wohin geht die Reise?

1997

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