Das Porzellankleid

Auf einem bunten Rummelplatz
sah ich ein seltsames Gespann:
Mutter flanierend mit der Tochter,
die trug ein Kleid aus Porzellan.
Mama war eher unauffällig,
anfangs von niemand recht beachtet,
doch dieses tolle Kinderkleid
wurde als Sensation betrachtet.

Das Kind war einfach wunderschön,
so um die sieben Jahr´–
mit großen blauen Strahleaugen
und blond gelocktem Haar.

Doch interessanter war das Kleid
der wunderhübschen kleinen Maid.
Und jeder, der dies Kleidchen sah,
hat sich gewundert und gefreut.

Ein wahres Edelexponat,
wahrscheinlich gar aus Meißen,
wenn dieses erst mal Schule macht,
wird jeder sich drum reißen.

Das Kleid aus weißem Porzellan
ging fast bis zu den Füßen.
Mit zart getönten Röschen dran,
mit Schleifen, Schleppchen, Rüschen.

Die Ärmelchen ganz fein plissiert,
mit Blütenranken rings verziert.
Und was soll ich noch groß erzählen:
Goldränder durften auch nicht fehlen.

So´n Kleid ist wirklich pflegeleicht,
es wird nur öfters abgestaubt
und blankpoliert mit feuchtem Tuch,
da hat´s der Pflege schon genug.

Natürlich drängten sich die Leute
im Handumdrehen um das Kind.
Sie wollten von der Mami wissen,
wo man solch Luxuskleidchen findt.

Die Mama, wie man das so kennt,
war jetzt in ihrem Element.
Jetzt konnte endlich sie mal zeigen,
was sie sich alles leisten kann:

„Dem Brüderchen passt man zur Zeit
genau so einen Anzug an.
Mein Bub ist bloß noch nicht zurück
aus jener Porzellanfabrik,
in welcher man aus aller Welt
solch Spitzenexponat bestellt.“

Nicht mehr das Kleid, sondern die Mama
zog jetzt die Menschen in den Bann.
Jetzt endlich schauten sich die Leute
die Mutti mal genauer an.

Denn da war nichts aus Porzellan,
auch nicht die zart-gepflegte Haut,
doch stellten bald die Leute fest:
Die Mami war nicht schlecht gebaut.

Und supersexy aufgestylt,
das Haar gelockt und wild,
verlockend duftend wie die Rose,
mit Silbertop und schwarzer Hose,
ein wahrhaft schönes Bild.

Die Kleidung weich und sehr bequem,
aus Wolle, Seide, Leder,
flippig dazu der Modeschmuck.
Bewundert hat sie jeder.

Doch ohne ihr gar schönes Kind
mit seinem wunderschönen Kleid,
da hätte sie sich der Beachtung
all dieser Leute nicht erfreut.

Längst war die Mama Mittelpunkt
der großen Menschenmenge,
die langsam über´n Rummel zog
in ehrfürcht´gem Gedränge.

Ein jeder wollt´ die Mama sehen,
das Kind war schon vergessen,
die Leute fragten lauthals nach
Porzellanfabrikadressen.

„Wir haben schließlich alle Kinder!
Auch die sollen´s zu was bringen.
Mit exquisiter Kleidung wird
die Karrier´ gelingen.

Wir wollen solche Kleider auch!
Das könnte euch so passen!
Wir wollen solchen Luxus nicht
den Reichen überlassen!“

„Bloß – soviel Rüschen wollen wir nicht,
wir wollen ein schickeres Design.
Bei unsern Kindern heutzutage
darf´s ruhig cool und sexy sein.
In solchen zarten Elfenfummel
kriegt ich mein Töchterchen nicht rein.“

„Da gibt´s doch vielerlei Modelle!
Das ist doch jetzt die Modewelle.
Auf das Design kommt es nicht an.
Hauptsache, ´s ist aus Porzellan!“

Von hinten drängt ein Papa vor,
schafft Platz mit derben Rippenstößen.
„Bloß eine Frage, junge Frau:
Gibt’s so was auch in Babygrößen?“

Von hinten dringt ein Stimmchen raus:
„Wie sieht´s mit Unterwäsche aus?“
Mama strahlt über ihr Gesicht:
„Nein, Unterwäsche braucht man nicht.“

„Und wie steht´s mit der Körperpflege?“
„Das kriegt man irgendwie zuwege.
Man muss das Kind ins Becken heben,
paar Tröpfchen Spülmittel zugeben.
Am Schluß wird dann noch klargespült,
damit das Kind sich sauber fühlt.“

Schon gibt die Mama Autogramme –
das hat sie bestens hingekriegt,
weil plötzlich dieser ganze Rummel
bewundernd ihr zu Füßen liegt.

Bereitwillig schreibt Mama auf,
was so die Leute wissen wollen,
und weist drauf hin,
was sie beim Kauf
auf jeden Fall beachten sollen.

Man solle unter jedem Umstand
den Fachhandel den Vorrang geben.
´s gäb schon aus China Imitate,
doch damit kann ein Kind nicht leben.

Da ist wahrscheinlich Schadstoff drin –
nicht, dass die Kinder Blasen ziehen.
Das hätte sich schon zugetragen,
solch Fälschung musste man zerschlagen,
hat sich als Schund herausgestellt
und dann ist´s schade um das Geld.

Ich kriege leise den Verdacht,
ihr Kind ist für´s Geschäft gemacht.
Ihr Kind ist nur zum Vorführen da,
den Reibach macht die Frau Mama.

Bei all dem Trubel hatten alle
das kleine Mädchen ganz vergessen.
Der ganze Rummel um die Mama
war wohl dem Kind zu viel gewesen.

Die vielen Leute hatten gerne
des Mädchens tolles Kleid berührt,
doch für das kleine Kind darinnen,
da hat sich keiner interessiert.

Nun stand es zwischen all den Ständen,
den Attraktionen, Buden, Wagen.
Die Mama ließ sich fürstlich feiern,
das Mädchen hatte nichts zu sagen.

Die Kleine nahm mit Gründlichkeit
die Stände jetzt in Augenschein.
Sie schlich ein bisschen hinten lang,
als wolle sie alleine sein.

Bei jedem hohen Tisch und Stand,
hielt sie ein kleines Weilchen an
und beugte tief ihr hübsches Köpfchen,
machte sich klein, so gut sie kann.

Bis endlich Passendes sie fand:
´nen ziemlich hohen Imbissstand.
Seitlich mit Segeltuch verhangen,
dort konnte sie hineingelangen.

Ich lugte neugierig hinein,
hier irgendwo muss sie doch sein?
Zwischen Kanistern, Kästen, Flaschen
wollt´ ich den Blick auf sie erhaschen.

Ich frage mich, was sie hier will
in diesem Abstelldomizil.
Dann habe ich sie stehen sehn.
wie eine Vase, weiß und schön.

Der Kopf stieß oben an die Platte,
die Augen sie geschlossen hatte.
Sie schlief, wie üblich, nur im Stehen.
Wie sollte das auch anders gehen?

Ich hab die Plane zugezogen
und hab das Mädchen schlafen lassen.
Sollte die Mama nach ihr suchen,
was wird die Kleine denn verpassen?
Sie wird sich hoffentlich bald trauen,
ihr Folterkleidchen zu zerhauen.

Ich wünsche meinen Lesern und ihren Familien ein recht frohes Weihnachtsfest!

Ihre Ahnenfreundin

Und achten Sie auf die Porzellanbekleidung Ihrer Kinder! Bitte nur:

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