
Letzter Blick auf´s Theaterstück!
Wir stehen einen letztes Mal im Foyer.
Der Engel in einer der tausend Masken
und ich, als Tasche, als Frau und Elfe,
ziehen ein letztes Resümee.
„Vorüber ist´s Stück! Der Vorhang fiel.
War es nun echt oder war es Spiel?
Mir scheint, das alles verschwimmen will.“
„Das Spiel ist echt und unecht zugleich.
Es kommt drauf an, was jeder draus macht.
Du selber hast alle Rollen gespielt.
Du hast dir das Spiel selbst ausgedacht.
Ich war nur dein Helfer, dein Intendant,
die Handlung lag einzig in deiner Hand.“
„Nein, Engel, ich wurde hineingeworfen,
vollkommen blind, ohne Programm.
Ich stand irgendwo zwischen Bühne und Saal,
und musste es nehmen, wie es kam.“
Im ersten Akt musste ich aller Welt dienen,
anpassen, nachgeben, leben auf Schienen.
In meinem Frust hab ich oft gedacht:
Hätte ich mich aus dem Staub gemacht.
Die Familie, der Job und der Alltagskram
fingen Elfe und Frau zu zerstören an.
Ich war eine riesige Tasche aus Sorgen,
verdrängten Wünschen, verpassten Affären.
Wie neidisch sah ich auf andere Frauen,
die schöner, perfekter, glücklicher wären.
Die Sorgentasche trug ich stets mit mir rum.
Sie machte mich hässlich, mutlos und krumm.“
„Hättest du nicht diese Tasche getragen,
hätt´ der Teufel im zweiten Akt dich erschlagen.“
„Engel, jetzt weiß ich´s, damals wusst´ ich´s nicht.
Ich sah stets nur Aufgaben, dicht an dicht.
Mir wurde so vieles abverlangt,
und selten hat es mir einer gedankt.
Hätte ich zuviel Geld verbraten,
wär ich in die Schuldenfalle geraten.
Also musste ich schuften, schalten und walten,
die Familie mit über Wasser halten.
Hätt´ ich die Aufgaben nicht gelöst,
wären Miseren daraus entstanden.
So war bald nur noch die Tasche vorhanden.
Engel, du weißt nicht, wie das sich fühlt.
Ich wurde so müde, so unterkühlt.
Warum hast du mir denn so mitgespielt?“

„Du beriefst mich im ersten Akt als Erbauer.
Glaub mir, ich machte das Leben dir sauer.
Ich hab dich gejagt über´n ersten Akt,
habe stets neue Sorgen dir aufgepackt,
du konntest den Druck oft kaum noch ertragen,
aber du hast dich wacker geschlagen.
Aber etlichen Mist hast du auch gebaut.
Mit Schaudern habe ich hingeschaut.
Trotzdem, ich wusst´ nicht, woran es liegt,
hast du immer wieder die Kurve gekriegt.
Hin und wieder prüfte ich dich.
Die Szene am Busplatz, erinnerst du dich?
Ich wusste, das es keine Rendezvous gibt,
du hast deinen Mann viel zu sehr geliebt.
Und ich lockte wirklich mit großem Kaliber,
mit teurem Wollmantel und erster Geige.
Dazu diesen Hauch von dressiertem Sohn,
da sinken die Frauen in Reihe doch nieder –
wollen ihn aus den Krallen der Mutter retten,
um ihn an der eigenen Brust festzuketten.“
„Engel, du bist genial raffiniert:
Darum hast du diesen Duft kreiert:
Teurer Wollstoff. Nieselregen.
Dunkles Tuch. Jahre im Schrank gewesen.
Wenig gelüftet. Stets auf dem Bügel.
Ein Junggeselle. Von Mama betreut.
Ein wenig Motte. Eine Spur von Moder.
Lebloses Dasein. Nichts bereut?
Dieser Duft
hat die Seele mir aufgerissen,
so habe ich selber mich anschauen müssen.
Auch diese Reflexe zu Moder und Grab,
zur Ödnis, die es in mir selber gab.“
„Weil du die erste Geige nie spieltest,
weil es kaum Glanz gab in deinem Leben.
Du warst gefangen im Hamsterrad,
nie hatte es anderes für dich gegeben.
Auf einmal kommt da so´n Hallodri daher,
und wackelt ein wenig am Hamsterrad.
Er macht dir die Elfe ein bisschen locker,
die irgendwo sich vergraben hat.
Er umschwärmt dich ein wenig, du bist ganz Ohr.
Du liebst Musik, er spielt sie dir vor.
Er ist elegant, das könnt´ dir gefallen.
Aber eines lockt dich vor allem:
Du könntest endlich dem Alltag entfliehen,
und mit aller Macht, die du sonst nicht hast –
den Künstler nach deiner Fasson erziehen.
Ein Mamasohn ist er, wohnt in alten Möbeln,
seine Jugend hieß ´Konservatorium´.
Ein Schlappschwanz ist er, man sieht´s an den Händen.
Das kannst du nicht leiden, das bringt dich um.
Den Schlappschwanz könntest du restaurieren!
Was alt ist und modrig ist, muss alles weg!
Du musst, was sein Wesen ist, ausrangieren.
Erst dann darf der Künstler mit seiner Geige
dich Elfe zu sich in den Himmel führen.“
Ich schwieg eine Weile und fragt´, was das soll.
Solchen Psychokram fände ich nicht so toll.

„Begreife,
dass ich dein Reflektor bin.
Deine ´Elfe´ lockte: ´Ich will endlich raus.
Unter lauter Banausen halt ich´s nicht aus.
Ich will endlich meine Flügel gebrauchen
und mit Geigenklang hoch ins Blaue tauchen.´
Die ´Frau´ registrierte: ´Der ist nicht mein Typ.
Zudem hab ich meine Familie sehr lieb.
Die brauchen mich alle, ich kann da nicht weg.
Sehr schade, Geiger, doch es hat keinen Zweck.´
Die ´Tasche´ aber macht´s kurz und knapp:
´Lass dieses ganze Papperlappap.
Tritt diesem Stinker mal kurz an´s Knie,
versprich ihm alles und halte es nie.
Aufstehen und Tschüss! Der Bus fährt ab.´
Siehst du, wie du alle Rollen selbst spielst?
Wie Häute, die übereinander liegen.
Keine der Häute ist überflüssig
und alles muss sich zusammen fügen.“
Ich lachte: „Tatsächlich, so ist es gewesen,
Als würd´ sich mein Handeln in Häute auflösen.
Wär es damals zu diesem Treffen gekommen?
Welch Verlauf hätte dann mein Leben genommen?“
„Hätte die Tasche dich nicht dirigiert,
wäre die Frau wohl zum Treffen erschienen.
Denn die Elfe in ihr machte mächtig Krawall,
wollte sich endlich der Freiheit bedienen.
Die Frau wäre irgendwann heim gegangen,
wahrscheinlich hätt´s ihr die Tasche befohlen.
Doch die Elfe hätt´ sich davongestohlen.
Sie wäre draußen geblieben – weit vor ihrer Reife.
Ein Zufallsopfer, das jeder sich greife.
Erinnerst du dich an das blaue Band,
das du mit ´nem Handschlag zerschnitten hast?
Vielleicht hätt´ der Böse nicht deine Elfe,
sondern die Ritter der Söhne gefasst?
Ist die Familie erst mal zerrissen,
hat sehr schnell das Böse zugebissen.
Du hast instinktiv richtig gehandelt –
und mit dem Hallodri nicht angebandelt,
denn die Tasche ließ dich nicht zu Worte kommen,
so hat´s einen guten Verlauf genommen.“

„Lieber
Engel, du bist genial.
Wie hab ich meinen Typus ´Tasche´ gehasst.
Und dabei hat sie auf mich aufgepasst.
Meine Schutzhülle war sie die ganze Zeit.“
„Und du hast dich nie darüber gefreut.
Sie lieben? Überhaupt keine Spur.
Die Menschen lieben das Leichte nur.
Aber Arbeit, Mühe, Krankheit und Not
haben alleine dich stark gemacht.
Kummer hat dich gestählt und abgeklärt,
aber er hat dich nicht umgebracht.
Das Muttertier – meist das Letzte im Rudel,
freiwillige Sklavin und dennoch autark.“
„Ja, lieber Engel, du kennst den Spruch:
Was uns nicht umbringt, das macht uns stark.“
„Und du, meine Liebe, warst stark geworden,
die Liebe erreichte ein gutes Maß.
Bedingungslos hast du immer gegeben,
bis du selber nichts mehr besaßt.
Schönheit, Gesundheit, Jugend waren hin.
Nur Plunder war noch in der Tasche drin.
Du sahest dich selbst als die alte Tasche,
die deine Familie als Manager, Putzer,
als Geldverdiener und Mädchen für alles
oft vergaß, aber immer griffbereit hatte.
So hattest du wahrlich den ersten Akt
erfolgreich und würdig endlich gepackt.
Hochmut und Stolz waren auf Null gefahren,
Sanftmut konntest du stets bewahren.
Verpasste Vergnügungen wischtest du weg.
Dem nachzutrauern hat keinen Zweck.
Und wer so viel Liebe gegeben hat
und selber fast nichts mehr hat und kann,
dem schrauben die Engel Flügel an.
Du erhieltest dein erstes Flügelpaar.
Die Flügel, die einzig die Liebe verleiht.
Oh ja, der Mensch muss sie hart verdienen,
denn alles im Leben braucht seine Zeit.
Begreife es und sei nicht überrascht:
Du hättest ohne Tasche es nicht geschafft!
Nein, der Alltag hat dir nicht Kräfte entzogen,
er hat dir im Gegenteil Kräfte gegeben,
Aber nicht für irdischen Firlefanz,
sondern für´s künftige freie Leben.
Und was sollte dem entgegen stehen?
Du hast ja dein Böses stürzen sehen.

Im zweiten Akt riefst du dann den Zerstörer.
Den Verführer, Prüfer, Schwächeauskehrer.
Dein Verstand sah zwar sein falsches Gesicht,
dein offenes Herz aber täuschte er nicht.
Du konntest ihn dank des Propellers durchschauen.
So musst´ er vergebens dir Fallen bauen.
Jetzt hast du überall seine Toten gesehen
und seine Gefangenen der eigenen Begier.
Waren die nicht alle freiwillig hier?
Wie leere Puppen sahst du sie stehen.
Seelenlos innen, doch äußerlich schön.
Wahrlich, so wolltest du niemals enden,
und nicht deine Söhne und nicht dein Mann.
Also musstest das Blatt du wenden.
Und du, meine Liebe, hast es getan.
Die Elfe tat´s nicht, die ruhte noch still.
Die Frau tat es auch nicht. Zuviel Gefühl.
Du hättest den Teufel niemals bezwungen.“
„Bedenke, Engel, es ist mir gelungen.
Wer war´s nun am Ende? Wer hat gesiegt?“
„Gegenfrage: Wer schützt dich künftig,
wenn die Tasche doch nun beim Teufel liegt.“
„Verstehe, ich bin noch immer die Tasche,
ich habe ihr Wesen in mich integriert.
Ich habe ihren bedrückenden Inhalt
– nun veredelt – mir selbst wieder zugeführt.“
„So kamst du zu Mut und Kraft über Nacht,
zu Mitgefühl, Verständnis und viel Geduld.
Zu Nachsicht, Klugheit und Überblick.
Dies alles hat nur deine Tasche gemacht.
Dem Teufel ließest du nur die Hülle zurück.
Und wie er hineinschaut, so schaut es heraus.
So schauen die Gesetze des Kosmos aus.
Das ist der Weg der Evolution.
Wer´s schafft, erringt die silberne Kron´.“
„Ja, lieber Engel, es hat funktioniert,
Und du hast alleine Regie geführt.
Du hast inszeniert und Kulissen gebaut,
hast immerzu nach dem Rechten geschaut,
hast mich immer im Dunklen tappen lassen.
Was auch geschah, ich konnt´ es nie fassen.
Und nun, lieber Engel, will ich dir danken!
Aus tiefstem Herzen und ganzer Seele.
Das Spiel hat mich so unendlich befreit,
dass ich dir´s ewig zur Ehre zähle!
Du bist es, dem die Ehre gebührt!
Du hast mich gefordert und hast mich trainiert.
Das silberne Krönchen bekommt der Proband,
doch der Engel bekommt das goldene Band.
Das Spiel hieß ´ICH WEISS NICHT ´
und ich hab´s nicht gewusst,
dass ich mir´s Spiel selbst erobern musst´.“
„Es ist das ewige Erdenspiel
mit Miriaden von Varianten.
Die Hauptakteure erfinden sich selbst.
Himmlische Hüter sind reichlich vorhanden.
Du weißt doch: Den inneren Teufel töten,
ist bei allen Menschen bitter vonnöten.
Ach, übrigens: Was macht jetzt der Teufel?“

„Dem geht´s recht gut, ganz ohne Zweifel.
Obwohl – manchmal denk´ dich, der Teufel ist krank.
Da verkriecht mit der Tasche er sich auf der Bank.“
Jetzt muss sogar der liebe Engel lachen:
„Da muss man sich fragen, was die da machen.“
„Engel, das hab ich mich auch gefragt,
sein Rückenmark hat nicht mehr viel gesagt.
Nicht umsonst wurde dort die Nadel plaziert.
Klar, dass nicht viel auf der Rückbank passiert.
Aber tanzen, das geht noch!
Er tanzt mit der Tasche, er tanzt und tanzt,
und beide sind schon ganz ausgefranst.
Aber schaun wir die Sache gemeinsam an,
Blenden wir kurz hinein in den alten Bus.
Ich hatte viel Last in die Tasche getan,
dass er bleischwer daran tragen muss.“
Wir beobachten ihn durchs Fenster ganz still.
Triumph ist ein wunderbares Gefühl.
Ich genieße es, endlich frei zu sein.
Nie wieder schüchtert der Böse mich ein.
Dort hockt er verdrießlich, mitten um Bus,
kann nicht mehr jagen und Elfen forttragen.
Kann nicht mehr nachstellen kleinen Rittern.
Der alte Schlappsack muss wirklich verbittern.
Oh, dieser Teufel ist hart geschlagen:
Muss ewig nun meine Tasche tragen.
Was zerrt er nun aus dieser Tasche hervor?
Alles, was er mir mal angedreht hatte:
Hemmungen, Furcht, jede Menge Komplexe,
Süchte, Bedrückung und manchen Tick,
Obrigkeitshörigkeit, blinden Glauben,
Maulsperren, Fesseln und Daumenschrauben –
andres stopft er erschrocken wieder zurück.
All diesen Ramsch zerrt aus meiner Tasche
und legt´ es sich grimmig selbst auf die Matte.
Er ist deprimiert, ich kann es sehen.
Der Unsterbliche hat jetzt ein großes Problem.
Ich klopfe an´s Fenster: „He, alter Knacker!
Danke, dass du meine Tasche entsorgst!“
Er sieht mich, und will mich natürlich gleich fressen,
aber er hat sein Leiden vergessen.
Er hat es seit kurzem etwas im Rücken,
kann sich nicht mehr richtig strecken und bücken.ndrom!“
Ich rufe: „Du leidest am Zollstock-Syndrom!“
Dann schwinge ich mich auf mein weißes Ross!
Und mit silbernen Krönchen im offenen Haar
galoppiere ich schnell wie der Wind davon.
